„Auch die Mittelschicht kämpft inzwischen“

„Gäubote“-Weihnachtsaktion: Mit ihrer „Wohnrauminitiative“ unterstützt die Caritas vor allem Familien.

Immer mehr Menschen suchen Wohnraum. GB-Foto: Jürgen Fälchle – stock.adobe.com

Immer mehr Menschen suchen Wohnraum. GB-Foto: Jürgen Fälchle – stock.adobe.com

Relativ unscheinbar sind diejenigen, denen Obdach fehlt und die daher in einer Notunterkunft leben. Nicht minder verhält es sich bei denjenigen, die eine Stufe darüber stehen: Die drohen, ihr vorhandenes Mietverhältnis aufgeben zu müssen und Angst haben, in eine kommunale Notunterkunft zu müssen. „Die Wohnungsnot ist riesig“, bestätigt Bettina Hummel-Lehnhardt. Sie betreut bei der Caritas Schwarzwald-Gäu das Projekt „Herein – die kirchliche Wohnrauminitiative“, das sich seit dem Jahr 2020 dem Problem der Wohnraumnot widmet und Menschen bei der Wohnungssuche unterstützt. „Ich erlebe es eigentlich mit jedem Jahr schlimmer“, rekapituliert Hummel-Lehnhardt die Zeit seither. „Mittlerweile betrifft es nicht mehr nur die Randgruppen oder Bürgergeldempfänger, auch die Mittelschicht kämpft inzwischen.“

Teilweise schlagen bei der Caritas sogar Menschen auf, die in Sindelfingen oder Böblingen in den dortigen Stadtverwaltungen in Teilzeit arbeiten, als alleinerziehende Mütter aber nirgends eine bezahlbare Wohnung finden. „Wir merken, dass das ein mehrdimensionales Problem ist“, beschreibt Michael Vogelmann, Caritas-Fachleiter für soziale Hilfen. Obdachlosigkeit markiere eine Extremform der aktuellen Wohnungsnot, sei aber nur ein Teil von ihr. Ebenso kämpfen Menschen damit, dass durch Nachwuchs der vorhandene Wohnraum zu klein geworden oder die Miete nach einer Erhöhung nicht mehr bezahlbar ist. Manch einer drohe in die Armut zu kippen, wenn die Miete mehr als zwei Drittel des monatlichen Einkommens ausmacht. Viele Familien sähen sich zudem nach Jahren auf einmal einer Eigenbedarfskündigung ausgesetzt. „Und die Möglichkeit, etwas Neues zu finden, vor allem zu dem Preis, den die alte Immobilie hatte, wird von Jahr zu Jahr schlechter“, weiß Hummel-Lehnhardt.

„Es gibt wahnsinnige Preissteigerungen zwischen Bestandsmietverträgen und Neumieten“, sagt Michael Vogelmann. „Wenn Sie in eine Wohnungsbesichtigung gehen und für eine Wohnung auf 100 Interessenten treffen, dann reicht es schon, dass ich im Einkommensverhältnis im unteren Drittel agiere, um bei der Suche nach einer Wohnung überhaupt nicht berücksichtigt zu werden“, ergänzt der Caritas-Fachleiter hinsichtlich der Relevanz des jeweiligen Einkommens.

Weshalb sich die Caritas zuerst die finanziellen Verhältnisse anschaut, um einzuschätzen, was für die Klienten an Miete überhaupt leistbar wäre. Welche Größe an Wohnraum wird benötigt, welcher Ort käme infrage? „Eine Familie, die in Böblingen gut angebunden ist mit Schule, Kindergarten et cetera irgendwo auf dem Dorf zu verfrachten, macht meist nicht groß Sinn“, schildert Bettina Hummel-Lehnhardt. So dass die Caritas zuerst ein Portfolio erstellt, nach geeignetem Wohnraum sucht, überprüft, ob dieser sich zur Vermietung eignet, eine Bereitschaft seitens der Eigentümer einholt – und anschließend abgleicht, wer auf der Warteliste für eines der Objekte schließlich infrage komme. 100 Anfragen pro Jahr erreichen das Projekt, schätzt Bettina Hummel-Lehnhardt. Vermittelt werden jährlich allerdings nur zehn Wohnungen. „Das hört sich wenig an, aber der Aufwand pro Wohnung ist groß“, erklärt sie. Nicht immer finde sich für jedes Vermietungsangebot ein Abnehmer, nicht zuletzt, wenn der Zustand der Wohnung unzureichend ist. Oder es passiert, dass Vermieter selber auf jemand stoßen. „Andere nehmen wir auf die Warteliste und die wird immer länger“, sagt Bettina Hummel-Lehnhardt.

Die Caritas begleitet das Mietverhältnis im Anschluss weiterhin. „Das Ganze ist für die Vermieter kostenlos“, sagt Hummel-Lehnhardt. Sie kennt Projekte, wo eine Institution als Vermieter auftritt, Wohnraum anmietet und den Untermietvertrag mit den interessierten Personen macht. „Da ist natürlich die Sicherheit für die Vermieter wesentlich größer und deshalb auch die Bereitschaft, zu vermieten“, ist Hummel-Lehnhardt bewusst. Die „Wohnrauminitiative“, vom bischöflichen Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart bis Ende Februar 2028 gefördert, gehöre aber nicht zu diesen Projekten.

Immerhin: „Wir haben als Caritas noch mal den Namen, einfach auch Türen aufzumachen – und wir garantieren eben auch eine Verlässlichkeit“, betont Michael Vogelmann. Die sieht er auch in Fällen, wo potenzielle Mieter Bürgergeldempfänger sind, für Vermieter prinzipiell gegeben. Von diesem Stigma müsse man weg, so Vogelmann. „Niemand zahlt zuverlässiger als ein Amt“, sagt der Caritas-Fachleiter.

Die Wohnungsnot ist riesig Bettina Hummel-Lehnhardt