Auf dem Weg zur Vesperkirche

Von Jutta Krause

Eine Kirche, die in der kalten Jahreszeit ihre Türen öffnet und bedürftigen Besuchern ein warmes Essen serviert. Der Kirchenraum als Ort für Begegnungen zwischen Menschen, die sonst nicht aufeinandertreffen. Gemeinsam wollen die evangelische, die katholische und evangelisch-methodistische Kirchengemeinde in Herrenberg einen langgehegten Traum verwirklichen. Sie begeben sich deshalb „auf den Weg zur Vesperkirche“. Die „Gäubote“-Weihnachtsaktion unterstützt das Projekt.

Auf dem Weg zur Vesperkirche

Die Initiatoren der Vesperkirche (von links): Hans Haischt vom Diakonischen Bezirksausschuss, Ulrike Altherr von der katholischen Kirche und der evangelische Dekan Eberhard Feucht vor dem SpitalkirchenportalGB-Fotos: Schmidt

Vor 25 Jahren, im November 1994, gelang es dem Stuttgarter Diakoniepfarrer Martin Fritz, seinen Traum von Kirche als Ort, an dem Menschen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten für eine Weile zusammenkommen und sich auf Augenhöhe begegnen, mit einem konkreten Plan so überzeugend zu „verkaufen“, dass wenige Monate später in der Leonhardskirche die erste Vesperkirche stattfand.

Idee macht Schuleim ganzen Ländle

Damit war eine Idee geboren, die inzwischen längst Schule gemacht hat im Ländle: Jedes Jahr zwischen Januar und März öffnen sich in rund 33 Gemeinden in Baden-Württemberg die Kirchentüren für hungrige Gäste. Für den begrenzten Zeitraum von einer bis vier Wochen werden dort, wo normalerweise die Gottesdienste stattfinden, Tische und Bänke aufgestellt und zum gemeinsamen Essen geladen. Das soll in absehbarer Zeit auch in Herrenberg geschehen. „Auf dem Weg zur Vesperkirche“ ist das Projekt überschrieben, für das die „Gäubote“-Weihnachtsaktion in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Miteinander – Füreinander“ Spenden sammelt. Die Vesperkirche richtet sich vor allem an bedürftige Menschen, doch sind alle willkommen – sowohl als Gast als auch als Helfer. Neben einem warmen Mittagessen sowie Kaffee und Kuchen im Anschluss gibt es oft weitere hilfreiche Angebote, die von Gesprächen und Seelsorge über Haarschnitt und Maniküre bis hin zur ärztlichen Untersuchung reichen. Thilo Dömland, Diakoniepfarrer im evangelischen Kirchenbezirk: „Es soll keine Armenspeisung werden. Vielmehr sollen sich Menschen begegnen, die sich sonst nicht begegnen.“

Der Wunsch, auch in Herrenberg eine Vesperkirche zu etablieren, ist nicht neu. „In den Köpfen existiert er schon lange“, erzählt Dekan Eberhard Feucht. „Als wir dann die Spitalkirche auf den Weg gebracht haben mit ihrem Vier-Räume-Konzept, das Begegnungen in unterschiedlicher Weise ermöglicht, kam die Idee einer Vesperkirche erneut auf. Der Gedanke des Teilens und gemeinsamen Essens passt hier schon allein wegen des historischen Spitals, in dem Herrenberger Bürger arme Menschen unterstützten, sehr gut hinein. Mitten in der Stadt und mit einer großen ökumenischen Breite wäre das eine tolle Sache.“

Mitstreiter zu finden war nicht schwer, auch die anderen Kirchengemeinden hatten schon mit dem Gedanken einer Vesperkirche gespielt. Die jeweiligen Kirchengemeinderäte sowie der Diakonische Bezirksausschuss gaben ebenfalls grünes Licht für das Projekt „Auf dem Weg zur Vesperkirche“, das nun unter der Trägerschaft der evangelischen Kirchengemeinde und mit Beteiligung der katholischen und evangelisch-methodistischen Kirchengemeinden in Herrenberg sowie dem Verein „Die kleine Börse e. V.“ an den Start geht.

Schon im Projektnamen tragen die Organisatoren dem Umstand Rechnung, das, was als Idee so einfach klingt, in der Umsetzung ziemlich anspruchsvoll und mit hohem Aufwand verbunden ist. Vieles muss bedacht und organisiert werden, sehr viele helfende Hände werden gebraucht. Noch gibt es etliche Hürden zu überwinden und zahlreiche Details sind noch unklar. Selbst der Ort, an dem in Zukunft gemeinsam gegessen werden soll, ist noch offen, denn im Zuge der Recherchen hat sich herausgestellt, dass die – in jeder anderen Hinsicht optimale – Spitalkirche wohl zu klein ist, um eine Vesperkirche zu beherbergen. Derzeit gibt es dazu verschiedene Überlegungen.

Die Organisatoren planen bereits für nächstes Frühjahr einen ersten Probelauf. Der wird am 20. März in der Spitalkirche stattfinden. 2021 soll es dann ernst werden. Zwei Wochen lang soll die erste Vesperkirche Besucher bewirten und ihnen neben einem guten, gutbürgerlichen Essen sowie einer vegetarischen Variante auch den ein oder anderen geistlichen Impuls mitgeben. „Wir sind auf dem Weg – aber es ist ein langer Weg“, erklärt Hans Haischt, der als Vorsitzender des Diakonischen Bezirksausschusses ebenfalls mit von der Partie ist. Praktische Erfahrungen mit dem Prinzip Vesperkirche hat er bereits als ehrenamtlicher Mitarbeiter in Stuttgart gesammelt – und ist davon begeistert. „Es ist für mich beeindruckend, wie dieses Miteinander funktioniert und wie sich die Menschen dort wohlfühlen“, erzählt er.