Das ganze Land profitiert von sexueller Aufklärung

Von Verena Bayer

„Sexualaufklärung ist eher unüblich für die Missionsarbeit“, weiß Melanie Janietz. Seit dreieinhalb Jahren lebt sie mit ihrem Mann Jan und den beiden Kindern Lotte und Pepe in Sierra Leone in der zweitgrößten Stadt Bo. Am Sonntag stellten sie ihre Missionsarbeit für die evangelisch-methodistische Kirche im Rahmen eines Gottesdienstes in der Herrenberger Christuskirche vor.

Das ganze Land profitiert von sexueller Aufklärung

Wie viele Menschen in dem Land, das ungefähr so groß ist wie Bayern, leben, das ist ungewiss – es gibt kein Einwohnermeldewesen. Die Wichtigkeit des Projektes wurde gleich zu Beginn klar: In Sierra Leone ist es derzeit noch Gesetz, dass schwangere Mädchen die Schule verlassen müssen. Verschiedene Organisationen arbeiten allerdings daran, wenigstens eine Art Alternative für diese Jugendlichen auf die Beine zu stellen. Das Projekt von Melanie Janietz, die Sozialarbeiterin ist, bekämpft allerdings dessen Ursachen, indem Aufklärungsarbeit geleistet wird – und so Teenager-Schwangerschaften verhindert werden können. Denn nach dem Schulausschluss beginnt oftmals ein Kreislauf der Armut. „Der einfachste Weg ist es, einen Mann zu finden, der einen durchfüttern kann“, erzählt die Sozialarbeiterin. Denn ohne Schulabschluss keine Ausbildung, ohne Ausbildung gibt es kaum eine Chance auf einen Job, mit dem sich die Frauen selbst ernähren können.

Zwei Lehreinheiten zumSchutz vor sexueller Gewalt

Insgesamt zehn neue Lerneinheiten hat sie entwickelt, die unter anderem die Pubertät, den Körper von Mann und Frau oder Verhütungsmittel thematisieren. Zwei Lehreinheiten sind zum Schutz vor sexueller Gewalt ausgewiesen. In der Einheit an der Grundschule gibt es hier einen Lehrsatz: „Those are my private parts. Don’t touch them!“ Dabei deuten die Kinder auf die Brust, den Genitalbereich und den Po. In einem Fortbildungskurs können sich Lehrer zertifizieren lassen, um den Schülern alle Fragen zu diesem Thema beantworten zu können. Zuvor allerdings dürfen auch die Lehrkräfte Fragen stellen, um den Zöglingen souverän gegenübertreten zu können. Dazu gibt es beispielsweise diverse Verhütungsmittel als Anschauungsobjekte, um die Dinge jeweils verstehen zu können. Unterrichtet wird dann unter anderem mit Schaubildern, die auf wetterbeständigem Material gedruckt wurden – damit diese möglichst lang der hohen Luftfeuchtigkeit standhalten können.

Abgestimmt wurden die Lehrinhalte speziell auf Sierra Leone, die Kultur und die vor Ort herrschenden Umstände. Sadia Gbassa und Sullayman Koroma waren in dieser Hinsicht die beiden Lehrer, die Melanie Janietz unterstützt haben und auch zu großen Teilen die Ausbildung der weiteren Lehrkräfte übernommen haben. Die beiden Einheimischen steckten viel Energie in das Projekt – neben ihrer regulären Arbeit an der Schule. Ziel ist es nun, dass die beiden freigestellt werden, um dann im ganzen Land Lehrer mit den neu erarbeiteten Materialien vertraut zu machen und so für flächendeckende Sexualaufklärung zu sorgen. Doch nicht nur Sierra Leone, das zu den fünf ärmsten Ländern der Welt gehört, profitiert davon. Das Nachbarland Liberia hat bereits ebenfalls Interesse an den Unterlagen angemeldet.

Doch nicht nur das großangelegte Projekt gehörte in den vergangenen dreieinhalb Jahren zu den Besonderheiten, die Familie Janietz erleben durfte. Vater Jan unterrichtet die beiden Kinder zu Hause, unterstützt wird er dabei immer wieder von Praktikanten, die auch ein paar Wochen länger bleiben – und auch sonst ist in dem großzügigen Haus immer viel los. Beispielsweise nahmen sie einen Radfahrer auf, der von Dänemark bis nach Südafrika strampelte. Seitdem sind immer wieder Gäste für ein, zwei Tage bei der Familie untergebracht. Auch weitere Helfer, die in und um Bo fleißig mit anpacken, sind gern gesehene Gäste. „Als Familie haben wir die richtige Zeit gewählt“, ist sich Melanie Janietz sicher. Die Kinder gehen noch in die Grundschule und verlieren durch die Heimbeschulung nicht den Anschluss – denn Mitte 2020 zieht es die Familie wieder zurück nach Deutschland. Das angestoßene Projekt allerdings wird dann wohl auch ohne die Unterstützung von Melanie und Jan weiterlaufen.