Der Unterjexit schlägt hohe Wellen

Ein Scherz war es nicht, gleichwohl der Trennungswunsch im Ammertal für Aufregung sorgt. Es geht um den Vorschlag des Unterjesinger Ortsvorstehers Michael Rak, seinen Teilort von Tübingen abzuspalten und der Nachbargemeinde Ammerbuch anzuschließen. Inzwischen rudert der Kommunalpolitiker wieder zurück.

Von Jutta Krause

Lesedauer: ca. 3min 19sec
Unterjesingen als Teilort von Ammerbuch? Der Ortsvorsteher rudert wieder zurück GB-Foto: Vecsey

Unterjesingen als Teilort von Ammerbuch? Der Ortsvorsteher rudert wieder zurück GB-Foto: Vecsey

Mehr als drei Jahre lang haben die Briten für ihren Brexit gebraucht. Das lokale Äquivalent, der Traum vom „Unterjexit“, scheint deutlich kurzlebiger. Von Ortsvorsteher Raks ersten ernsthaften, aber weitgehend privaten Überlegungen – immerhin gab es bereits erste Gespräche zwischen ihm und Ammerbuchs Bürgermeisterin Christel Halm und eine Anfrage Raks im Tübinger Regierungspräsidium – bis zu der nicht öffentlichen Sitzung, bei der Rak seine Ortschaftsräte mit dem Vorstoß einer Umgemeindung nach Ammerbuch überraschte, vergingen nur wenige Monate.

Tübinger OB glaubte
an vorgezogenen Aprilscherz

Kaum war die Katze aus dem Sack, schlugen die Wellen hoch: Statements aller Art und eine Rücktrittsforderung waren die Folge. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hielt den Vorschlag zunächst für einen Scherz. Dabei war es eine Äußerung von Palmer selbst gewesen, die Rak dazu veranlasst hatte, über eine Abspaltung des Tübinger Teilorts nachzudenken.

Der Anlass war harmlos genug – und sogar klimafreundlich: Als Ende Oktober 2019 in Unterjesingen das erste elektrische Rettungsfahrzeug der Unterjesinger Abteilung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Betrieb genommen wurde, flapste der grüne Rathaus-Chef, wenn schon das Unterjesinger DRK zur Ammerbucher Ortsgruppe gehöre, könne auch gleich der ganze Ort zu Ammerbuch gehen. Was nach Palmers Aussage offenbar ironisch gemeint war, nahm Rak für bare Münze. Ammerbuchs Bürgermeisterin Christel Halm, die bei der Veranstaltung ebenfalls zugegen war, nahm den Vorstoß ihres Kollegen immerhin ernst genug, ihn zu einer nichtöffentlichen Ratssitzung in ihrer Gemeinde einzuladen – vorausgesetzt, die Unterjesinger Bürger stünden mehrheitlich hinter diesem Ansinnen.

Ob dem so wäre, wird wohl nun im Dunkeln bleiben. Jedenfalls hatten im 1971 65,5 Prozent der Unterjesinger für eine Eingliederung nach Tübingen gestimmt. Seither gab es sporadisch Überlegungen, sich stattdessen mit der Nachbargemeinde zu verbinden, mit der man beispielsweise die Verkehrsproblematik teilt. Gut möglich, dass mancher Unterjesinger sich gern als Ammerbucher sehen würde. Welcher Nutzen ein Zusammenschluss für die Beteiligten hätte, bleibt indes unklar. Zwar scheint es, wie Rak in einer Stellungnahme mitteilte, im kleinen Kreis bereits Überlegungen „zu möglichen finanziellen Ausgleichsberechnungen“ gegeben zu haben. Doch, so heißt es dort: „Nachdem der Oberbürgermeister der Stadt Tübingen einen einvernehmlichen, friedlichen Wechsel jetzt abgelehnt hat, haben sich alle Aktivitäten erledigt.“

Dabei hatte sich Ammerbuchs Bürgermeisterin Christel Halm dem Ansinnen gegenüber aufgeschlossen gezeigt und wollte nichts von vorneherein ausschließen. Sie werde immer wieder von Unterjesingern angesprochen, dass es nett wäre, zu Ammerbuch zu gehören und sähe keinen Grund, dies nicht in Erwägung zu ziehen, wird sie in Tübingen zitiert. Inzwischen will sich Halm dazu nicht mehr äußern – mehrere Anfragen des „Gäubote“ blieben jedenfalls unbeantwortet. Ihre ehrenamtlichen Stellvertreter hätten die Idee zwar nicht kategorisch zurückgewiesen, formulierten jedoch ihre Bedenken. „Ich bin eher skeptisch, dass so etwa funktionieren könnte, hätte mir aber erst einmal angehört, was Herr Rak zu sagen hat“, erklärte Bernd Tausch (FWV). „Was er von der Stadt Tübingen an Zuwendungen wollte, hätte sich Ammerbuch jedenfalls nicht leisten können.“

Die Skepsis überwog auch bei Karl Haischt (CDU). „Ammerbuch ist mit seinem Haushalt und der knappen Personalsituation schon am Limit, die nächsten Jahre werden knallhart. Und Unterjesingen ist keine lukrative Gemeinde. Sie hat weder Industrie noch Gewerbe und hat in Tübingen mehr Stellenwert als in Ammerbuch“, lautete sein Statement. Vor allem jedoch sieht er Raks Vorgehensweise als problematisch an: „Er kann als Ortsvorsteher darüber nicht entscheiden und hätte zumindest seinen Ortschaftsrat im Vorfeld informieren sollen.“ Andreas Steinacker (GAL) äußerte „allergrößtes Verständnis“ für den Wunsch mancher Unterjesinger, sich Ammerbuch anschließen zu wollen „Wir sind eine attraktive Gemeinde“, erklärte er selbstbewusst. „Es gibt hier keine Denkverbote, man darf in alle Richtungen überlegen. Um die Sinnhaftigkeit einer solchen Idee abschätzen zu können, fehlen mir aber die Details, das wurde nicht vertieft. Derzeit haben wir aber ohnehin genug damit zu tun, unsere eigenen Hausaufgaben zu machen.“ Ohnehin wäre eine mögliche Umgemeindung nicht so einfach möglich. Laut Gemeindeordnung müssten die Bürger der 2600-Seelen-Gemeinde sowie die Gemeinderäte in Tübingen und Ammerbuch mehrheitlich dafür stimmen. Damit auch das Regierungspräsidium seinen Segen gibt, muss zudem gegeben sein, dass sie „aus Gründen des öffentlichen Wohls“ erfolgt.

„Die Aufregung über diese allerersten Überlegungen ist plötzlich groß geworden. Wir können und müssen in Unterjesingen jedoch wieder rasch zu unseren eigentlichen Problemen und Projekten zurückkehren“, heißt es nun am Ende von Michael Raks Statement. „Nachdem der Gemeinderat in Tübingen eine nachhaltige Unterstützung zugesagt hat, sind wir auf einem guten Weg.“

Zum Artikel

Erstellt:
27. Februar 2020

Sie müssen angemeldet sein, um einen Leserbeitrag erstellen zu können.