Der Wald als Sehnsuchtsort und Erholungsraum

„Sehnsuchtsort Wald“ lautete das Motto des Waldkulturabends, zu dem das Amt für Forsten des Landkreises Böblingen an die Kohlhauhütte bei Hildrizhausen geladen hatte. Rund 100 Besucher lauschten den Betrachtungen eines Naturführers, einer „Waldbademeisterin“ und einer Forstprofessorin sowie dem musikalischen Vortrag des noch ziemlich jungen Chors des Landratsamts Böblingen.

Von Jutta Krause

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Das Waldkonzert findet in passender Kulisse statt GB-Foto: Bäuerle

Das Waldkonzert findet in passender Kulisse statt GB-Foto: Bäuerle

Der Wald hat viele Rollen: Er ist Lebens- und Schutzraum für Pflanzen und Tiere, Wirtschaftsraum, in dem der wichtige Rohstoff Holz produziert wird, Wasserreservoir und „grüne Lunge“ für die Umgebung und gewinnt zunehmend als Erholungsraum für stressgeplagte Zeitgenossen an Bedeutung. Spätestens seit der Romantik ist der Wald auch Projektionsfläche für Sehnsüchte und das Bedürfnis nach Ruhe und „unverfälschter“ Natur. All diese Aspekte fanden sich auch in den Beiträgen der drei Redner wieder. Den Anfang machte die Ehninger Kräuter- und Wildpflanzenpädagogin Barbara Dürrwang, die den Anwesenden das Konzept und die Vorzüge des „Waldbadens“ nahebrachte. Sie begann ihren Vortrag mit dem berühmten Goethe-Zitat: „Ich ging im Walde so für mich hin, um nichts zu suchen, das war mein Sinn.“ Damit, erklärte sie, habe der Dichter das Wesen des Waldbadens bestens beschrieben. Denn bei diesem aus Japan stammenden Trend geht es in erster Linie um die achtsame Wahrnehmung der umgebenden Natur.

„Studien zeigen, dass nicht nur die Psyche positiv auf den Wald reagiert, auch der Körper profitiert messbar davon: Die Stresshormone nehmen ab, das Glückshormon Serotonin wird vermehrt ausgeschüttet und das Immunsystem wird ebenfalls nachhaltig gestärkt. Auch der Entspannungseffekt ist für die heutige Zeit enorm wichtig“, betonte Barbara Dürrwang. Nachweisen lassen sich auch chemische Verbindungen, mit denen die Bäume untereinander kommunizieren, sogenannte Terpene, die beim Waldbesuch über den Atem und die Haut aufgenommen werden. Natürlich könne man die positiven Effekte auch beim Waldspaziergang genießen, doch rät die Expertin dazu, ab und an ein richtiges Waldbad unter Anleitung eines kundigen „Bademeisters“ zu nehmen und die wohltuende Wirkung des Walds durch kleine Übungen, Meditationen, Sinnesschärfung und bewusste Entschleunigung zu verstärken.

Projektion einer heilen Welt erlebt erfährt eine Art Renaissance
Als „Gesundbrunnen“ und Ort, wo alle Lebewesen in reiner Harmonie zusammenleben, als geheimnisvolle, beseelte Natur sehe der Mensch den Wald erst etwa seit dem 18. Jahrhundert, wo es im Zuge der industriellen Revolution zunehmend zur Entfremdung zwischen Mensch und Umwelt gekommen sei, führte Naturführer Peter Schüle in seinem Vortrag aus. Diese Projektion einer heilen Welt erfahre heute in Bestsellern wie „Das geheime Leben der Bäume“ eine Art Renaissance. Dabei warnte der Redner davor, die Natur und die mannigfachen Beziehungen der Waldbewohner untereinander allzu sehr zu idealisieren. „Nur im Märchen herrscht reine Harmonie im Wald, die Natur kann auch ziemlich brutal sein“, erklärte er. Dennoch plädierte er dafür, möglichst oft und mit möglichst viel Muße in den Wald zu gehen. Nicht nur sei man dadurch „abgeschirmt von den Zumutungen der modernen Welt“, angesichts jahrhundertealter Bäume, ändere sich auch das Zeitverständnis. Und es gebe immer etwas zu entdecken, selbst für die Wissenschaft. Etwa das erst kürzlich im Schönbuch entdeckte Bärtierchen, das wie ein Außerirdischer anmutet, große Hitze und Kälte mühelos übersteht und seinen Stoffwechsel bei Bedarf komplett herunterfahren kann. Da es mit bloßem Auge nicht sichtbar ist, hatte er zur Anschauung eine Fotografie mitgebracht.

Zum Abschluss interviewte Reinhold Kratzer, der Leiter des Amts für Forsten, die Rottenburger Touristik-Professorin Monika Bachinger zur touristischen Nutzung des Walds. Er wollte etwa von ihr wissen, wie der Erholungseffekt zustande komme. „Es ist nicht allein der Lebensraum Wald mit seinen Strukturen und den bereits erwähnten Terpenen. Und es ist nicht der Mensch mit seinen Vorstellungen und Wünschen, sondern die Interaktion zwischen den beiden, die zu den Erholungseffekten führt“, erklärte die Professorin.

Stimmungsvoll umrahmt wurden die Vorträge von den Liedern des Chors, die sich von deutschen Volksliedern wie „Kein schöner Land“, „Im schönsten Wiesengrunde“ und „Am Brunnen vor dem Tore“ über Klassiker wie „Moon River“ und „Wir machen Musik“ bis hin zu eingängigen Weisen wie „Sierra Madre“ erstreckten. Bei den letzten beiden Stücken wurden die rund 20 Sänger von Landrat Roland Bernhard unterstützt, der selbst ein begeisterter Sänger ist und sich sehr über den im September 2018 auf Initiative von Landratsamtsmitarbeiterin Katja Schorm gegründeten Chor freut. Dirigiert wurden die singenden Beamten von Chorleiterin Gudrun Kohlruss und am Klavier begleitet von Andreas Kersten.

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Erstellt:
3. Juli 2019

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