Die Clownin und der Tod

Von Rüdiger Schwarz

Die eigene Endlichkeit folgt ihr auf Schritt und Tritt. In so einigen ihrer clownesken Kabinettstückchen lachte sie dem Tod ins Gesicht und segnete das Zeitliche. Der neueste Bühnenwurf der weltberühmten Schweizer Clownin Gardi Hutter beginnt in der Herrenberger Stadthalle mit einem Ende, dem ein Anfang innewohnt.

Die Clownin und der Tod

Die berühmte Schweizer Clownin Gardi Hutter gastierte zusammen mit ihren Kindern und ihrem Schwiegersohn in der Herrenberger Stadthalle GB-Foto: Bäuerle

Das diesjährige Herrenberger Festival von „Brot und Rosen“ beginnt mit einem Knaller. Der hat es in sich, ist zum Schreien komisch und steckt doch voller poetischer Bilder, die um Leben und Tod kreisen. Mit „Gaia Gaudi“ ist der 66-jährigen Clownin Gardi Hutter ein großer Wurf gelungen. Das Ulkige tritt in den Hintergrund, um einem anrührenden, tragikomischen Mummenschanz des Todes Platz zu machen. Dieses Spiel ohne Worte, das auf die Macht szenischer Bilder und die Kraft der Musik setzt, steckt voller mythopoetischer Lebens- und Todessymbolik. Hier werden mal auf eine groteske und aberwitzige Art, mal auf ernste und tiefsinnige Weise die Urerfahrungen menschlicher Existenz abgehandelt.

Zauberhafter, humoresker,makaberer Leben- und Totentanz

Der ewige Kreislauf von Geburt, Kindheit, Werden und Vergehen greift weit über den Einzelnen hinaus, lässt die Menschengeschlechter wie Schatten vor der Sonne vorüberziehen. Dieser zauberhafte, humoreske und zuweilen makabere Leben- und Totentanz wirft auch die Frage nach dem Erbe der Mütter auf. Angefangen vom Urbild der gebärenden, nährenden großen Mutter, der Venus von Willendorf. Doch Gardi Hutter wäre keine Clownin, wenn sie diesem in Stein gemeißelten Mutterarchetyp nicht quirlige Beine machen und eine urkomische, herrlich schräge Seite abgewinnen würde. So verdeckt sie kurzerhand die zur Schau gestellte Vulva dieser Fruchtbarkeitsgöttin mit ihrer Schürze.

Am Anfang begegnet die Eidgenössin in der Rolle ihres Alter Ego Hanna der eigenen Auslöschung. Was folgt, ist ein magischer Fiebertraum, in dem das Unvermeidbare doch noch hinausverschoben werden soll, alle Phasen des Sterbens durchschritten werden. Diese Gratwanderung zwischen Parodie und Schrecken wartet mit absurden Szenen auf. Die lassen einen an Samuel Becketts „Endspiel“ und Eugène Ionescos „Der König stirbt“ denken. Schließlich dreht sich vieles darum, wie man abdankt, um Platz für die nachfolgende Generation zu schaffen – klopft die doch bereits an die Türe, um einen zu beerben, zur Not vom Thron zu stürzen. So ist es alles andere als ein Zufall, dass Gardi Hutter für diese fantastische Inszenierung ihre beiden Kinder – die Sängerin Neda Cainero sowie den Perkussionisten Juri Cainero und mit der Tänzerin Beatriz Navarro auch noch dessen Frau – mit ins Boot geholt hat.

Hat man wie die griechische Erdmutter Gaia, die dem Stück den Namen gab, mit den eigenen Kindern Rachegöttinen, Götter stürzende Giganten geboren, in übertragenem Sinne gar Muttermörder in die Welt gesetzt? Unter der verwandelnden Kraft des Mondes flattern Rabenvögel als Todesboten ein, mit archaisch-schamanischen Klängen hebt die Seele der Verstorbenen, die sich noch nicht mit dem Endgültigen abfinden will, zu wandern an. Ein kastenartiger Karren dient als Vehikel der Verwandlungen. Aus dem schlüpft die Clownin schon mal als britische Majestät heraus. Die Grillen steigen ihr zu Kopfe, der zwergenhafte Hofstaat hat so seine Mühe, die königlichen Launen zufriedenzustellen.

Doch selbst als „Rabenmutter“ purzeln einem die Bälger nur so aus dem Schoß heraus. Sodann hebt sich der Vorhang eines Kasperltheaters, der eigene Nachwuchs bleckt die Zähne, hat nur ein höhnisches und spöttisches Gelächter für einen übrig. Derweil legt Hanna mit ihrem toten Double ein ungelenk charmantes Freudentänzchen hin, spiegelt sich wenig später im Antlitz der Toten. Im Angesicht der Endlichkeit wirft die Komikerin noch einmal all ihre Lebendigkeit in die Waagschale. Das kirre Brabbeln, die fuchtelnden Arme, das schelmische, trotzige, wie von der Tarantel gestochene Wesen. Wehklagende Gesänge wechseln sich mit einem vor Lebendigkeit nur so pulsierenden, vorwärts peitschenden rhythmischen Feuerwerk ab. Man wähnt sich inmitten eines rituell aufgeladenen, karnevalesken Totenfest, das Züge des mexikanischen Día de Muertos annimmt.

Der Schluss stimmt versöhnlich, zeigt die Akteure im Strom der aufeinanderfolgenden Generationen tanzend vereint. Oder war alles nur ein Spuk und Schreckgespenst? Fängt das Leben mit 66 Jahren nicht erst an …?