Die Maschinengewehre bleiben zu Hause

Von Thomas Morawitzkyund Maria-Dolores Bloching

In den Rathäusern haben nun die Narren die Macht übernommen: Am Donnerstagnachmittag- und -abend stürmten die Fasnetsfreunde einige Verwaltungsgebäude im Gäu.

Die Maschinengewehre bleiben zu Hause

In Nufringen lieferten sich Hexen und Verwaltungsmitarbeiter einen Kampf um den Rathaus-Schlüssel GB-Foto: Holom

Gärtringen – Die Narrenzunft Gärtringen geht ins Kino, reist durch die Zeit. Vor 100 Jahren begannen sie, die wilden 20er, und der Film feiert sie noch heute. Es war die Zeit der großen Partys und der großen Gangster. Drum steht nun am Donnerstagabend, als die Narren Gärtringens ihr Rathaus stürmen, auf dem Platz vor diesem Haus etwas, das einem großen Filmprojektor entfernt ähnlich sieht, und jeder Narr sieht aus, als sei er aus einem schwarz-weißen Streifen geschlüpft. Nur: Die Maschinengewehre, als Holz natürlich, haben die Narren daheim gelassen. Aus gutem Grund. Bürgermeister Thomas Riesch spricht ihn aus, noch ehe er seines Amtes enthoben wird. Riesch spricht von Hanau, vom rechtsextremen Wahn, auch davon, dass man trotzdem feiern müsse, dass die Zivilgesellschaft sich vom rechten Rand nicht kompromittieren lassen dürfe. Dennoch: Gangster ohne Waffen. Und alle schweigen für eine Minute vor dem Rathaus Gärtringen und gedenken der Opfer. Thomas Riesch selbst hat sich in eine nostalgische Schale geworfen, trägt weißes Hemd und Fliege, soll später dann von den stürmenden Narren vor Gericht gestellt werden: Das sündhafte Leben im Rathaus soll ein Ende finden, das Laster in den höchsten Rängen der Gemeinde. Die Gacho Graechzer, angereist aus Gechingen und treue Freunde der Gärtringer Narren, blasen bis dahin ein anderes Inferno herbei. Auch sie haben ein neues Kostüm, sehen nun sämtlich aus wie übergroße Spraydosen, denen eine knochig große Hand den Sprühknopf drückt. Weitere Überraschungen warten. Die glamourösen 20er in Hollywood sind da – manch einer zieht sich den breitkrempigen Hut ins Gesicht. Und Thomas Riesch soll Charleston tanzen – seine Strafe. Ob er das hinbekommt?

Altingen – Erst nach der Kommunalwahl übernahm Dietmar Hammer die Macht in Altingen als Ortsvorsteher. Seit gestern Abend ist er seinen Posten wieder los. Vor dem Rathaussturm ziehen Musiker vom Feuerwehrgerätehaus durch den Ort, die Hexen mit ihren Fackeln kündigen das bevorstehende Unheil an. Am frühen Abend tagte auf dem Dorfplatz das Narrengericht, und Vanessa Norz, Zunftmeisterin der Narrenzunft Altingen, hatte überhaupt kein Erbarmen mit dem Ortsvorsteher. „Wir sind unzufrieden mit dem letzten Jahr. Sie haben überhaupt keine Versprechen gehalten, es ist ein Wunder, dass wir noch am Leben sind“, klagte Norz vor vielen Zuschauern. Dietmar Hammer stand am Fenster des erleuchteten Rathauses. Für seine Premiere hat auch er sich verkleidet, nicht in eine Hardtwaldhexe, einen Moia-Käfer, einen Noda-Quäler einen Walterle, davon gab es auf dem Dorfplatz schon zuhauf. Ein Dreispitzhut, einen Mantel hatte er übergezogen, beides „soll an einen Schultes von früher erinnern“, verriet er. Chancen gegen die mächtige Narrenmacht hatte Hammer nicht: „Mir bleibt keine Wahl, der Narrenmacht muss ich mich beugen. Regiert gut, lasst es krachen.“ Dass sie das tun in den nächsten sechs Tagen, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Tolle Tage gibt die Zunftmeisterin vor, Arbeiten und Schlafen sind fortan verboten. Wer es trotzdem wagt, einen Finger zu rühren, „wird in den Hardtwald verbannt“, droht Norz. Als die Machtverhältnisse klar sind, wird in der Narrenscheuer vermutlich bis tief in die Nacht gefeiert.

Nufringen – Punkt 16.16 Uhr war es, als die Nufringer Narren lautstark das Rathaus stürmten. Von seriösem Rathaus-Team keine Spur, dafür dröhnte aus den Lautsprechern ein Faschingshit nach dem anderen. Bürgermeister Ingolf Welte stand im Kickboxer-Trainingsanzug im Foyer, ein Gläschen Sekt in der Hand. Sein Rathaus-Team hatte sich in Fußballer, Karatekämpfer, Radfahrer oder Läufer verwandelt – die Laune bestens, von Stress keine Spur. Einfach so den Narren die Macht und den Schlüssel zu überlassen, das kam nicht infrage. Rathausspiele mussten zunächst bewältigt werden. Klar, dass es um Bürokratie ging. Den ersten, aber leider auch einzigen Sieg holte das Rathaus-Team beim Stempeln, Falten, Einkuvertieren und Lochen. Welte verriet, dass der „Ungültig“-Stempel sein allerliebster ist. Was das künftig für die Nufringer Anträge bedeutet, ließ er offen. Konditionell scheint es um das Rathaus nicht gut bestellt, da half auch das Sport-Thema nicht. Beim Reiten auf überdimensionalen Paragrafen aus Karton siegten die Narren. Und als Julian „Jule“ Reichle gegen den Rathaus-Chef schneller in das Chef-Büro in den zweiten Stock rannte, war alles verloren, die Macht und der Schlüssel – zumindest vorübergehend. Sogar der saubere Trainingsanzug war wenige Minuten später dahin. Denn vor dem Rathaus wartete ein Sägemehlbad auf den Bürgermeister. Bevor sich die Narren auf nach Schönaich machten, gab es noch einen Zwischenstopp an der Dopingstation. Verbotene Substanzen suchte man allerdings vergebens – dafür aber reichlich Sekt und Berliner.

Deckenpfronn – Daniel Gött, Bürgermeister in Deckenpfronn, sieht seiner Entthronung gelassen entgegen. Er hat einen sehr großen Rathausschlüssel, den wollen sie haben, die Narren. Gött wurde in seinen ersten Amtsjahren von den Narren nach und nach eingekleidet, bekam in jedem neuen Faschingsjahr ein neues Ausstattungsstück und sieht nun, in seinem elften Amtsjahr, zur Fasnet selber aus wie ein Narr. Die echten Narren, einschließlich ihres engagierten Chefs, des Zunftmeisters Herbert Däuble, liegen draußen auf der Lauer, tun noch ganz harmlos an ihren Kanonenöfen, ihren Wurstbrötchen, ihren Bierflaschen herum. Aber sie haben ihre Pläne. Die sind zwar ganz dieselben wie in allen Jahren zuvor, aber sie sind dennoch heimtückisch: Über eine Metallleiter werden sie am Rathaus hinaufsteigen, durchs Fenster werden sie kommen. Eine Hexe (gut gesichert, versteht sich) wird ganz oben auf dem Rathausdach stehen und gewissermaßen von hinten her stürmen; Rathausmitarbeiterinnen, hilflos gefesselt, sollen über den Platz geschleift werden. All das ist mehr als gemein und äußerst unsozial, arbeitsrechtlich auch sehr bedenklich – aber Daniel Gött wäre längst nicht mehr Bürgermeister in einem so hoch gelegenen Narrendorf wie Deckenpfronn, wüsste er diese Lage nicht zu meistern. Er will den Schreckgespenstern menschgewordener Unvernunft gar ein Gedicht vorlesen; als könnte dies die wilden Gemüter besänftigen! Allerdings, dies weiß der Bürgermeister allzu gut: der Rathaussturm in Deckenpfronn ist nichts als Wind. Am nächsten Morgen schon wird Daniel Gött wieder früh zur Arbeit gehen, kein Narr wird sie ihm abnehmen, keiner seine Telefonanrufe entgegennehmen. Nur ein Trost bleibt dem Verwaltungschef: Ist der Sturm erst vorbei, so gegen 18.45 Uhr, dann ist für ihn Feierabend: „Früher als sonst!“