Ein musikalisches Zeichen der Hoffnung

Durch Corona hat bei vielen Menschen das Gefühl der Einsamkeit Einzug gehalten. Deshalb haben sich auch im Gäu so manche Musiker und Familien dazu entschieden, jeden Sonntag um 18 Uhr einen kleinen musikalischen Hoffnungsschimmer in die Wohnungen ihrer Mitmenschen zu schicken. Auch am vergangenen Wochenende erklang von vielen Balkonen die „Ode an die Freude“.

Von Jenny Schwartz

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Die beiden Nachbarn Karlheinz Hättinger und Brita Mohr musizieren vor ihren Häusern in Oberjesingen GB-Foto: Holom

Die beiden Nachbarn Karlheinz Hättinger und Brita Mohr musizieren vor ihren Häusern in Oberjesingen GB-Foto: Holom

„Es war ein schönes, kleines Konzert mit super Musik“, schwärmt Andreas Sachse vom Herrenberger Mehrgenerationenhaus Weitblick. „Das hat richtig Laune gemacht.“ Nachdem im Haus Weitblick bereits am vorigen Sonntag kräftig zusammen musiziert worden war (der „Gäubote“ berichtete), gingen die Balkonkonzerte nun in die nächste Runde. Diesmal zauberten zunächst Alf Holzner und Ruben Maisenbacher den Zuhörern aus der Nachbarschaft mit den jazzigen Songs „Autumn Leave“, „Girl From Ipanema“ und „Sunny“ ein Lächeln auf das Gesicht, bevor schließlich gemeinsam die „Ode an die Freude“ von Beethoven gesungen wurde.

„Es standen einige Leute mit Sicherheitsabstand in der Nähe des Hauses oder auf ihren eigenen Balkonen“, beschreibt Andreas Sachse die Szenerie. „Natürlich braucht das noch ein bisschen, bis die Bevölkerung bei der Aktion wirklich anbeißt. Aber vielleicht schaffen wir es ja, dass die Leute durch die Musik für ein paar Minuten ihre Sorgen vergessen“, lautet einer von Sachses Beweggründen für die Organisation dieser Weitblick-Konzerte. Es gehe bei der Aktion nicht um die Musiker selbst, sondern um den Gedanken der Hoffnung, der von Balkon zu Balkon getragen werden soll. „Wir möchten den Menschen Mut zurufen und ein Zeichen von Zusammenhalt und Solidarität setzen.“ Bisher seien die Zuhörer zwar noch recht zögerlich. „Aber ich habe beobachtet, wie einige Leute sich zur Musik bewegt und gegrinst haben“, berichtet Sachse.

Wie auch am Sonntag zuvor hatte er die Zuhörenden nach dem Konzert dazu aufgefordert, per Applaus den Menschen Tribut zu zollen, die auch in der Corona-Krise das System aufrechterhalten. „Allerdings habe ich diesmal vorab noch eine kleine Ansprache gehalten.“ Denn einige Stimmen hätten diesen Applaus beim letzten Mal zynisch gefunden, was der Herrenberger durchaus nachvollziehen kann: „Das ist ein zweischneidiges Schwert. Man möchte den Menschen seine Dankbarkeit zeigen und sie würdigen, aber natürlich löst man dadurch nicht die schlechten Arbeitsbedingungen dieser Berufe.“

Ebenso wie Sachse zeigte auch Marianne Aicher mit ihrer Familie ihre Dankbarkeit für die Leute im öffentlichen Dienst mit einem kleinen Gesangskonzert auf dem heimischen Balkon. „Wir möchten damit an diejenigen erinnern, die in diesen Zeiten unermüdlich arbeiten und sich mit ihrer ganzen Kraft für andere einsetzen“, erzählt die Dekanatskirchenmusikerin der katholischen Kirchengemeinde Herrenberg. Gleichzeitig wolle die Familie Aicher ein Zeichen der Hoffnung setzen und den Menschen Mut machen, dass das Leben hoffentlich bald wieder normal weitergehen wird. „Und natürlich wollen wir zeigen, dass wir an die Leute denken, die gerade nicht da sind“, erläutert Marianne Aicher: „Wir vermissen unsere Chorproben und die Menschen dort nämlich sehr.“

Auch in Oberjesingen schwebten an diesem Sonntag die Klänge der Europa-Hymne „Ode an die Freude“ aus allen Richtungen durch die Lüfte. Der Posaunenchor hatte sogar seinen Dirigenten aus Stuttgart per Videokonferenz dazugeschaltet, damit auch alle Musiker trotz räumlicher Trennung gleichzeitig zum Einsatz kommen. „Das ist schon irgendwie witzig, wenn jeder mit seinem Handy und den Noten auf dem Balkon steht“, sagt Tobias Pfander der nicht in seiner Eigenschaft als Orsvorsteher mitmachte, sondern als Mitglied des Vereins. „Wir haben viel gelacht, und das ist super; in diesen Zeiten kann man ja gar nicht genug Freude haben.“

Der Posaunenchor sorgt normalerweise für die musikalische Begleitung des Gottesdienstes. Der allerdings wurde, ebenso wie die Proben, bis auf Weiteres gestrichen. Aufs Musizieren möchten die Oberjesinger Bläser trotzdem nicht verzichten. „Wir haben erst an Platzkonzerte an verschiedenen Orten im Dorf gedacht“, erklärt Pfander. „Aber das hätte das falsche Signal ausgesandt, weil dann Leute zu uns gestoßen wären und wir eine größere Gruppe gebildet hätten.“ Doch auch mit den Balkonkonzerten können die „Posauner“ ein Zeichen setzen. Pfander: „Ich finde, dass man durch Musik Brücken von Wohnzimmer zu Wohnzimmer bauen kann.

So können wir den Leuten, die gerade einsam zu Hause sitzen, das Signal schicken: Es geht weiter.“ Dass das Konzept der kleinen Konzerte im ganzen Gäu so großen Anklang findet, freut auch Carolin Schlanderer. Zu wissen, dass zur selben Zeit in ganz Europa Menschen auf ihren Balkonen stehen und ein musikalisches Zeichen der Hoffnung setzen, sei etwas ganz Besonderes, findet die Vorsitzende des Musikvereins Öschelbronn. „Allein hier in Öschelbronn hat man jetzt aus allen Richtungen die Musik gehört, ohne zu wissen, wer alles mitmacht“, schwärmt sie. „Die ganze Aktion trägt dazu bei, dass in der Bevölkerung der Zusammenhalt wächst.“ Und genau darum gehe es bei dem Musizieren aus der Distanz auch: „Wir sind zwar momentan alle allein, aber trotzdem bleibt das Gemeinschaftsgefühl.“

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Erstellt:
31. März 2020

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