„Es war auch für mich persönlich belastend“

Von Thomas Oberdorfer

Matthias Schöck hat im Ehrenamt als Präsident des Württembergischen Fußballverbands (WFV) viele Felder zu beackern. Die Führungskrise des Deutschen Fußballbundes (DFB) war zuletzt ein großes Thema, zudem will und muss sich Schöck, im Hauptberuf Bürgermeister von Hildrizhausen, dafür einsetzen, dass die Amateure wieder ohne Einschränkungen fußballspezifisch trainieren und auch gegen Konkurrenten spielen können.

„Es war auch für mich persönlich belastend“

Matthias Schöck könnte sich gemischtere Gremien im Fußball durchaus vorstellen GB-Foto (Archiv): Roger Bürke/Eibner

Herr Schöck, war es Ihnen zuletzt mitunter

peinlich, Teil des Vorstands des DFB zu

sein – angesichts der katastrophalen

Außendarstellung des Verbands?

Matthias Schöck: „Die vergangenen Wochen und Monate waren in der Tat sehr belastend, sie haben kein gutes Licht auf den DFB und den Fußball insgesamt geworfen. Dass mir meine Mitgliedschaft im DFB-Vorstand deshalb peinlich war, kann man so jedoch nicht formulieren. Der DFB ist als größter nationaler Sportverband der Welt grundsätzlich professionell aufgestellt, was die internen Abläufe anbelangt, die Strukturen insgesamt. Da ist in den vergangenen Jahren einiges passiert.“

In Sachen Außendarstellung kann von

„professionell“ aber keine Rede sein.

„Wie gesagt, es war auch für mich persönlich belastend. Wobei man sagen muss, dass der DFB-Vorstand ein sehr großes Gremium ist. Die Ereignisse in den vergangenen Monaten betrafen insbesondere den DFB-Präsidialausschuss, dem ich nicht angehöre. Oftmals werden viele Dinge und Personen in einen Topf geworfen.“

Präsident Fritz Keller und Generalsekretär

Friedrich Curtius sind ausgeschieden, Vize-

präsident Rainer Koch und Schatzmeister

Stephan Osnabrügge treten nicht mehr an.

Ist damit der Sumpf trockengelegt und

der Weg frei für einen Neuanfang?

„Auch diese Begrifflichkeit würde ich nicht wählen. Ich glaube jedoch, dass mit den personellen Wechseln die Chance verbunden ist, nach vorne zu schauen.“

Der DFB ist eine Männerclique. Ist es Zeit für

eine Frau an der Spitze des Verbands,

generell für mehr weibliches Personal?

„Die fachliche und menschliche Qualifikation ist wesentlich, sie muss von der Person an der Spitze mitgebracht werden. Aus meiner Sicht macht es die Mischung aus. Durch eine gemischte Besetzung treten auch andere Impulse, Ideen und Gedanken zutage. Ich erlebe das im Gemeinderat in Hildrizhausen, da ist der Anteil von Männern und Frauen annähernd gleich. Der DFB hat in der Vergangenheit jedoch bereits viel unternommen, beispielsweise Leadership-Programme durchgeführt, um Frauen für entsprechende Positionen zu gewinnen. In Baden-Württemberg haben die drei Verbände 15 Frauen im Zeitraum von eineinhalb Jahren durch Trainingsprogramme ausgebildet, um sie so zu schulen, dass sie Verantwortung übernehmen können.“

Was halten Sie vom Festhalten des DFB an der

Altersgrenze von 47 Jahren für Schiedsrichter?

In Manuel Gräfe muss ein Unparteiischer

deswegen aufhören, obwohl er eindeutig

einer der Besten seines Fachs ist.

„Zu diesem Punkt gibt es sicherlich unterschiedliche Perspektiven und Meinungen. Ich habe jedoch großes Vertrauen in die Personen, die dafür zuständig sind und die dafür die Verantwortung tragen. Ehrlich gesagt, bin ich aber nicht tief genug in der Thematik drin, ich kenne auch nicht die gesamten Rahmenbedingungen, um ein Urteil hierzu abgeben zu können.“

Die Politik wurde und wird vielfach dafür

gescholten, dass sie den Sport in der

Corona-Pandemie nicht beachtet und

stiefmütterlich behandelt hat. Hat sich

daran etwas geändert?

„Das kann ich so nicht bestätigen. Wir waren seitens des WFV regelmäßig in Kontakt mit der Politik und haben unsere Argumente vorgetragen. Ich denke, stiefmütterlich kann man das nicht bezeichnen. Die Politik hat aus meiner Sicht den Sport auch immer im Auge gehabt, sie hat beispielsweise finanzielle Hilfsprogramme für den Sport aufgelegt. Ebenso wurde nach den einzelnen Wellen auch für den Sport immer wieder – wenn auch vorsichtig – gelockert. Generell möchte ich jedenfalls nicht mit denjenigen in der Politik tauschen, die dazu Entscheidungen treffen müssen, das sind stets schwierige Abwägungsprozesse.“

Sie müssen sich in Ihrer Funktion als WFV-

Präsident vor allem um die Amateure

kümmern. Wann können die Amateure

wieder ohne Tests und mit Kontakt kicken?

„Die Impfkampagne entwickelt sich gut und die Inzidenz geht in eine Richtung, die zuversichtlich stimmt. Es ist ja einiges gelockert und geöffnet worden. An der einen oder anderen Stelle wünsche ich mir aber vereinfachte Rahmenbedingungen.“

An welchen Stellen?

„Ich gebe ein Beispiel: Nach den Regelungen der Bundesnotbremse durften Kinder ohne Test bis zu einem Alter von 13 Jahren in Gruppen bis 20 Personen im Freien kontaktarm Sport treiben. Inzwischen sind wir beim zweiten Öffnungsschritt, die Inzidenz sinkt kontinuierlich. Die Corona-Verordnung des Landes brachte jedoch zuletzt Tests ins Spiel. Jetzt sollten unter-13-Jährige davon betroffen sein. Das ist alles nicht ganz eindeutig. Es wird jedoch klar: Wir brauchen zielführende, präzise formulierte Lösungen, die für jeden verständlich und auch umsetzbar sind.“

Was folgt für Sie aus dieser Erkenntnis?

„Ich hoffe darauf, dass die eine oder andere Rahmenbedingung wegfällt und wir auf dem Platz wieder so Fußball spielen können, wie es vor Corona der Fall war. Ich rechne auch damit, dass zeitnah wieder gegen andere Teams gespielt werden kann. Was sich aus meiner Sicht aber noch nicht so schnell ändern wird, sind die Regelungen außerhalb des Platzes. Es wird dauern, bis wieder Zuschauer in entsprechender Anzahl kommen und bis wieder die Kabinen genutzt werden können. Ein normaler Spielbetrieb ist hingegen denkbar und sollte schnell wieder möglich sein.“

Die geplante Strukturreform der Bezirke

im Bereich des WFV sieht eine Zerschlagung

des Bezirks Böblingen/Calw vor. Sehen Sie

diese Lösung weiterhin als sinnvoll an?

„Das Wort Zerschlagung würde ich nicht wählen. Es ist eine Neuordnung der Bezirke. Die zuständigen Kommissionen haben sich seit 2015 sehr intensiv, transparent, ergebnisoffen und basisbezogen mit dem Thema beschäftigt. Am 9. April dieses Jahres hat der WFV-Beirat mit großer Mehrheit einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Demnach soll es künftig eine Verbandsliga, vier Landesligen und zwölf Bezirksligen in zwölf statt bisher 16 Bezirken geben. Das ist eine gute Basis, um den Verband für die Zukunft aufzustellen.“

Damit wäre der Bezirk Böblingen/Calw in

seiner jetzigen Form Geschichte. Böblingen

würde Stuttgart zugeteilt, Calw dem Bezirk

Nördlicher Schwarzwald. Daran gibt es Kritik,

so sagt Bezirksspielleiter Helmut Dolderer,

dass die Teilung eines gewachsenen Bezirks

eine Maßnahme sei, die nicht zu akzeptieren

sei. Der Bezirksvorsitzende Richard Arm-

bruster sagt, Veränderungen könne man

sich nicht verschließen, doch in dem Fall

werde eine gewachsene Struktur ohne Not,

nach 65 Jahren aufgelöst. Was sagen Sie dazu?

„Dass bei einer Reduzierung von 16 auf zwölf Bezirke einige Bezirke betroffen sind, ist klar. Bei dem erarbeiteten Vorschlag trifft es auch den Bezirk Böblingen/Calw. Die kritischen Stimmen aus dem Bezirk hören wir durchaus. Ich habe schon mehrfach angeboten, in einem direkten Gespräch die jeweiligen Argumente auszutauschen. Richard Armbruster hat in der Sitzung des Beirats am 9. April bezüglich des auf dem Tisch liegenden Vorschlags übrigens mit Ja gestimmt. Im ersten Halbjahr 2022 wird auf einem außerordentlichen Verbandstag über diesen Vorschlag zu entscheiden sein.“

Der WFV hat enorm mit einer Fluktuation im

Jugendbereich zu kämpfen. Seit 2009 verliert

der Verband im Schnitt jährlich 3000 Spieler.

Wie wollen Sie diese Entwicklung stoppen?

„Das bereitet uns große Sorgen. Ob Corona diese Situation zudem verschärft hat, wissen wir noch nicht genau. Ich sehe uns als Verband in der Pflicht, dass wir unseren Vereinen Instrumente an die Hand geben, indem wir beispielsweise in die Aus- und Weiterbildung von Jugendtrainern investieren. Kooperationen mit den Schulen müssen ebenso intensiviert werden. Wir unterstützen beispielsweise alle Fußballvereine finanziell, die zum ersten Mal eine FSJ-Sport und Schule-Stelle besetzen. Im Rahmen des FSJ ist eine Breitensport-Lizenz verpflichtend, diese FSJler helfen also sowohl dem Verein als auch den Schulen als qualifizierte Trainer.“

Bei den Juniorinnen bis 16 Jahren hat der

WFV seit 2012 etwa 25 Prozent der Spielerinnen verloren. Seit zehn Jahren ging fast die Hälfte

der Mädchenteams verloren. Verliert der

WFV bei den Frauen komplett den Anschluss?

„Gerade um dem entgegenzuwirken, waren im vergangenen Jahr anlässlich ’50 Jahre Frauenfußball’ zahlreiche Aktionen geplant, die leider größtenteils coronabedingt nicht stattfinden konnten. Wir bleiben jedoch am Ball. Im Bereich Talentsuche und Talentförderung ist der WFV bundesweit gesehen auch im Mädchenbereich mit führend. Was uns fehlt, ist ein Zugpferd in der Frauen-Bundesliga. Spielerinnen mit dem entsprechenden Können verlassen daher oft den WFV und schließen sich in einer anderen Region einem Top-Club an. Vor diesem Hintergrund freut es mich, dass der VfB Stuttgart sich künftig verstärkt im Mädchen- und Frauenfußball einbringen will.“

Ihr Kollege Günter Distelrath, Präsident des

Niedersächsischen Fußballverbands, schlägt

vor, ab der Oberliga alsbald Frauen in

Männerteams spielen zu lassen. Wie stehen

Sie dieser Idee gegenüber?

„Ich habe noch keine abschließende Meinung dazu, das Thema ist ganz frisch. Man sollte sich meines Erachtens mit solchen Verbänden unterhalten, die damit schon Erfahrungen gesammelt haben. Der niederländische Verband praktiziert das wohl schon.“