Essen fairteilen statt Lebensmittelverschwendung

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Raika Slomma präsentiertden Stand imRathaus:Gemüse wirdim KühlschrankaufbewahrtGB-Foto: Bäuerle

Raika Slomma präsentiert den Stand im Rathaus: Gemüse wird im Kühlschrank aufbewahrt GB-Foto: Bäuerle

Die erste Regel beim Sparen heißt stets: Verschwendung vermeiden. Der Königsweg des Energiesparens ist es, dafür zu sorgen, dass möglichst wenig Energie überhaupt erst produziert werden muss. Etwa durch gute Dämmung, die gewährleistet, dass Wärme möglichst lange im Haus bleibt und damit weniger Heizenergie benötigt wird, oder indem energieeffiziente Geräte zum Einsatz kommen, die mit weniger Aufwand bessere Leistung erbringen. Nicht weniger wichtig ist es indes, Dinge, die bereits mit einigem Energieaufwand produziert wurden, so gut wie möglich zu nutzen und nicht einfach zu verschwenden. Ein Ansatz, der in diversen „Upcycling“-Trends wieder zunehmend Verbreitung findet. Ausgerechnet bei Lebensmitteln – einem Bereich, der alle Menschen ganz direkt und unmittelbar betrifft – findet jedoch eine massive Verschwendung statt, die nicht nur ethische Fragen aufwirft, sondern auch die Umwelt in hohem Maße belastet. „Ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel erreichen den Verbraucher nicht, sondern werden weggeworfen“, erklärt Raika Slomma, Botschafterin des Tübinger Vereins „foodsharing e.V.“, der für sein Engagement im letzten Jahr gleich zwei Umweltpreise erhielt. „Würde man in Bezug auf die CO2-Emissionen die weltweite Lebensmittel-Verschwendung statistisch wie ein Land betrachten, so läge sie in der Statistik auf Platz drei gleich hinter China und den USA.“

Tatsächlich zeigt eine Studie der Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen (FAO) von 2011, dass der ökologische Fußabdruck der globalen Lebensmittelverschwendung mit 4,4 Gigatonnen CO2 pro Jahr ziemlich genau zwischen den Ländern USA mit rund sechs und Indien mit knapp drei Gigatonnen des Klimagases liegt. Stand 2011 machten weggeworfene Lebensmittel acht Prozent des gesamten von Menschen erzeugten Kohlendioxidausstoßes aus und lagen damit nur knapp hinter der Belastung durch Verkehrsemissionen. Wenig überraschend landet in reichen Industrieländern deutlich mehr Essbares im Müll als in ärmeren Regionen. Während in Entwicklungsländern vor allem mangelnde Infrastruktur und schlechte Lagerbedingungen zu Verlusten führen, ist die Verschwendung hierzulande den Handelsstrukturen ebenso geschuldet wie dem ästhetischen Empfinden der Verbraucher, die nur frische, makellose Ware wollen. Was nicht mehr perfekt ist, wird aussortiert und landet im Müll.

Diesen Verschwendungskreislauf will Foodsharing (Deutsch: Lebensmittel teilen) durchbrechen: In Kooperation mit Supermärkten und Lebensmittelläden bewahren ehrenamtliche Foodsaver die dort aussortierte Ware vor der Müllhalde. Zu regelmäßigen, vorher vereinbarten Zeiten holen sie die Lebensmittel ab und verwerten sie entweder selber oder verteilen sie in sogenannten „Fairteiler“-Stationen an alle, die sich an der ganz konkreten „Rettungsaktion“ beteiligen wollen. Das Prinzip der 2012 in Berlin gegründeten Initiative ist einfach: Jeder kann mitmachen, unabhängig von Bedürftigkeit oder sozialem Status. Foodsharing ist grundsätzlich kostenlos und nicht kommerziell. Die einzige Bedingung an alle, die sich etwas aus dem Fairteiler nehmen: Es darf nicht weggeworfen, sondern muss als Nahrung verwertet werden.

In Tübingen gibt es die Foodsaver seit 2014. Vor allem in den letzten beiden Jahren ist die Initiative auf Wachstumskurs und arbeitet derzeit mit zwölf Kooperationsbetrieben zusammen. Als „Foodsharer“ registriert sind um die 500 Personen. Wöchentlich gibt es etwa 20 Abholungen, im Schnitt werden dabei jede Woche rund 250 Kilogramm Lebensmittel gerettet und an Freunde oder Bekannte verteilt oder in einem der sechs „Fairteiler“ jedem zugänglich gemacht, der Interesse daran hat. Seit Mai befindet sich auch im Rathaus direkt am Marktplatz eine „Fairteiler“-Station.

Koordiniert werden die Abholungen auf der Online-Plattform „foodsharing.de“. „Wir holen zu festen Zeiten ab und immer nach der Tafel – die hat immer das Vorrecht“, erklärt Raika Slomma. „Wir verfolgen ein anderes Ziel. Bei uns geht es nicht um Bedürftigkeit, sondern darum, dass Lebensmittel mit Respekt behandelt und verwertet werden.“ Tatsächlich kümmern sich die Foodsaver auch um die Nahrungsmittel, die bei der Tafel übrig bleiben. Die teilnehmenden Betriebe ersparen sich durch die Kooperation die Entsorgungskosten sowie die Zeit für das Sortieren der nicht mehr verkäuflichen Ware. Meist handelt es sich um Gemüse und Backwaren, gelegentlich auch Milchprodukte oder Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Tabu sind dagegen hygienisch riskante Speisen wie roher Fisch, Geflügel und Fleisch sowie alles, was statt eines Mindesthaltbarkeits- ein Verbrauchsdatum hat.

Jeder teilnehmende Betrieb hat einen Verantwortlichen, der mit den Foodsavern in Kontakt ist. Die Abholer nehmen sich das, was sie verwerten können, der Rest landet im Fairteiler. Dabei können die ehrenamtlichen Retter sich frei einteilen, wie sehr sie sich engagieren. Niemand ist zu etwas verpflichtet, solange er sich nicht für eine Abholung eingetragen hat. Was und wie viel es beim jeweiligen Abholtermin gibt, wissen die Foodsaver oft vorher nicht. „Manchmal werden wir total überhäuft, und manchmal sind es nur ein paar Salatköpfe. Manchmal bekommt man auch ganz exotische Dinge und weiß erst mal nicht, wie die zu verwenden sind. Aber es macht Spaß und ist zu einer wichtigen Sache geworden.“

Bislang war es in Tübingen kein Problem, die geretteten Lebensmittel an den Mann zu bringen. „Viele Studierende, die mitmachen, leben in WGs und können die Sachen privat verwenden“, erzählt Raika Slomma. Selbst ist die 25-Jährige beim Lebensmittelretten aktiv geworden, weil sie etwas für die Umwelt und ihre Mitmenschen tun wollte. „Ich beschäftige mich viel damit, wie ich mein Leben umweltfreundlich gestalten kann. Foodsharing ist eine sehr einfache Möglichkeit, viel zu erreichen. Natürlich ist das eine lokale Sache und wird die Welt nicht ändern. Aber ich habe den Eindruck, dass wir in Tübingen schon viel geschafft haben.“ 2017 haben sie dafür den Umweltpreis der Stadtwerke Tübingen gewonnen; mit dem Preisgeld soll ein Lasten-E-Bike angeschafft werden. Auch in Ammerbuch ist eine Foodsaver-Gruppe in den Startlöchern. JUTTA KRAUSE

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Erstellt:
31. Juli 2018

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