„Ich bin ja schon so etwas wie ein Museumsstück“

Die Zeit vergeht, aber Qianhong Gotsch bleibt. In der Saison 1991/92 war es, als die gebürtige Chinesin in der Bundesliga als Neuzugang der SV Böblingen mit einer imponierenden 51:1-Bilanz für Aufsehen sorgte. 28 Jahre später ist Qianhong Gotsch immer noch im deutschen Oberhaus erfolgreich, zuletzt blieb sie fast ein ganzes Jahr unbesiegt. Im Interview spricht sie über ihre starke Saison und die Zukunft.

Von Thomas Holzapfel

Lesedauer: ca. 3min 44sec
Qianhong Gotsch ist für ihre Gegnerinnen noch immer schwer zu knacken GB-Foto (Archiv): Baur/Eibner

Qianhong Gotsch ist für ihre Gegnerinnen noch immer schwer zu knacken GB-Foto (Archiv): Baur/Eibner

„Gäubote“: Mit einer 23:4-Bilanz sind Sie auch

in der abgelaufenen Saison ganz vorne im

Einzelranking zu finden. Allerdings reichte es

der Böblinger Mannschaft trotzdem nicht zu

einem Sieg und man wurde Letzter. Wie fällt

Ihre persönliche Saisonbilanz aus?

Gotsch: „Mit meiner eigenen Bilanz bin ich natürlich sehr zufrieden, auch wenn in der Rückrunde ein paar Niederlagen eingesteckt werden mussten. Aber ich denke schon, dass sich eine Halbserie mit einer Zu-null-Bilanz und in der Gesamtsumme die meisten Siege sehen lassen können. Für die Mannschaft verlief die Saison natürlich absolut enttäuschend, was aber vorrangig an den Verletzungen und Krankheiten lag und der damit verbundenen Tatsache, dass Rosi Stähr nicht an Position drei spielen konnte. So reichte es bei vielen unglücklichen Spielverläufen nicht zu einem Sieg.“

Warum tun sich selbst gestandene

Nationalspielerinnen immer noch so schwer

gegen Sie?

„Abgesehen davon, dass bei mir der Spaß eine große Rolle spielt, denke ich, dass mein doch etwas ungewöhnliches Spielsystem für viele Gegnerinnen immer noch schwer zu lesen ist. Hinzu kommt natürlich das hohe Maß an Erfahrung. Allerdings ist das mit dem Topniveau relativ zu sehen. Es gelingt mir nur noch über kurze Distanzen, das richtig gute Niveau zu halten. Im Rahmen eines Bundesliga-Spiels sind das maximal zwei Einzel und ein Doppel. Schon beim letzten Pokaltag mit mehreren Einzeln war zu erkennen, dass Konzentration und Leistungsfähigkeit nachlassen. Lange Turniere mit entsprechender Vorbereitung wären heute schlichtweg nicht mehr möglich.“

Wie sieht es derzeit mit den

Trainingsaktivitäten aus?

„Nach der Saison habe ich etwas Pause gemacht, nun nach den Pfingstferien wird wieder richtig Gas gegeben. Meine Trainingspartner in Böblingen sind beispielsweise Zweit- und Drittligaspieler wie Florian Bluhm aus Neckarsulm, Josip Huzjak aus Plüderhausen, Sven Happek vom Sportbund Stuttgart oder der ehemalige Bundesligaspieler Heiko Wirkner. Zudem freue ich mich, dass meine Trainingspartnerin Mitsuki Yoshida nun wieder zu uns ins Böblinger Bundesliga-Team gewechselt hat.“

Wie kam es zu ihrer Rückkehr?

Der Kontakt ist nie abgerissen. Zuletzt spielte sie in der tschechischen Liga. Auf ihrer Europatour hat es ihr im Rückblick in Böblingen am besten gefallen, daher wollte sie hier noch mal spielen. Da die Position zwei unsere Achillesferse ist, passt das natürlich perfekt.“

Nach den Abgängen von Theresa Kraft und

Julia Kaim sowie der Verpflichtung von Mitsuki Yoshida und den beiden jungen Kaufmann-Schwestern: Ist die SVB nun stärker einzuschätzen und kann das Team in der Liga bestehen?

Im schlechtesten Fall müssen diesmal ja zwei Mannschaften absteigen.

„Wenn Xu Yanhua gesund gewesen wäre, wären wir nicht sieglos Letzter geworden. Dann wäre auch der Unterschied zum jetzigen Team nicht so groß gewesen. Ich denke, dass wir insgesamt stärker aufgestellt sind und es genügend Teams in der Liga gibt, gegen die wir punkten können. Der Klassenerhalt ist das realistische Ziel.“

Sind die Kaufmann-Schwestern Alexandra

und Annett in der Lage, in der Bundesliga

mitzuhalten?

„Zu Beginn ist der Sprung für die beiden sicherlich recht groß, aber mit der Zeit wird das sicherlich klappen. Ich hatte in früheren Jahren schon öfter mit Spielerinnen mit ähnlichem Einstiegsalter zu tun, zum Beispiel damals mit Laura Stumper oder den beiden Rohr-Zwillingen. Alexandra und Annett können bei uns völlig unbeschwert aufspielen. Wenn sie weiter dabei bleiben und zudem gesund, werden sie es im Oberhaus packen, davon bin ich überzeugt.

Der Bundesliga-Terminplan liest sich durchaus

kurios. Lediglich ein Spiel wird in diesem Jahr

im Böblinger Tischtenniszentrum ausgetragen. Im Oktober und November folgen dann

zwei „Heimspiele“ auf fremdem Boden.

So etwas gab es in der langen Böblinger

Bundesliga-Geschichte erst einmal in Schönaich.

Im Rahmen von Jubiläumsveranstaltungen

geht es nun nach Mönsheim und Calmbach.

„Ja, das finde ich generell gut. Für die Spielerinnen ist dies eine gelungene Abwechslung und für die ausrichtenden Vereine ein großes Event vor entsprechender Zuschauerkulisse.“

Was sind Ihre Ziele für die kommende Saison?

„Mit dem Team möchte ich natürlich nicht absteigen. Zudem hoffe ich, dass wir uns im Pokal für das Final Four qualifizieren, das diesmal in Pforzheim über die Bühne geht. Persönlich möchte ich wieder so gut wie möglich spielen, auch wenn ich weiß, dass dies in meinem Alter doch von Jahr zu Jahr etwas schwieriger wird. Ich bin ja schon so etwas wie ein Museumsstück.“

Können Sie sich vorstellen, im Falle

des Abstiegs auch in der Zweiten Bundesliga

an den Start zu gehen?

„Eher nicht. Es sei denn, ich bin nach wie vor fit und es gibt ein tolles Konzept, mit einem jungen Team wieder aufzusteigen. Das ist aber alles reine Theorie.“

Der Tischtennissport gerade im

Damenbereich entwickelt sich momentan

nicht besonders positiv. Allenthalben

gibt es Rückzüge von Vereinen zu

verzeichnen – auch in traditionellen

Hochburgen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

„Dieses Thema ist sehr vielfältig, das Ganze hat sicherlich auch gesellschaftspolitische Gründe. An der Basis lassen sich immer weniger Kinder motivieren, in einer Sportart bei der Stange zu bleiben, in der man eine jahrelange Ausbildung benötigt, um auf ein gewisses Niveau zu kommen. Viele Kinder brauchen drei, vier Jahre, bis sie mal einen Topspin ausführen können. Andere Sportarten kann man vermutlich schneller lernen. Viele Jugendliche fangen erst mit dem Tischtennissport an, entscheiden sich dann aber doch für etwas anderes, heutzutage gibt es so viel Auswahl. Die Kinder bewegen sich viel weniger als früher. Vielleicht müssen wir unseren Sport aber auch besser präsentieren, mehr Werbung machen. Da spielen viele Faktoren eine Rolle.

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Erstellt:
29. Juni 2019

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