Kein romanisches Werk,sondern ein gotisches

Von Jacqueline Geisel

550 Jahre Kirche in Tailfingen sind ein Grund zum Feiern – und ein Anlass, sich das historische Gebäude genauer anzuschauen. Genau das hat Tilmann Marstaller getan. Der Bauhistoriker präsentierte seine Ergebnisse vor gut 40 Interessierten. Die wichtigsten Fakten erläuterte er mit einer Bildpräsentation, ehe er sich mit seinen Zuhörern unter das Dach der Tailfinger Kirche wagte.

Kein romanisches Werk,
sondern ein gotisches

Zunächst nahm sich Marstaller der bauhistorischen Verortung der Kirche an. „Eigenartig“ sei, dass es keinen Kirchhof gab und gibt und die Kirche mitten im Ort keine Pfarrkirche war. Stattdessen gab es am Rande Tailfingens eine zweite Kirche – mit Kirchhof und nahe des Friedhofs. Online sei zu lesen, es handle sich um ein romanisches Bauwerk. Ein Trugschluss, mit dem Tilmann Marstaller prompt aufräumte. Er und ein Team von Studierenden hatten die Kirche im Vorfeld im Rahmen einer Übungsveranstaltung der Universität Tübingen untersucht und kamen zu anderen Ergebnissen. An Elementen wie Türbögen und Fenstern machte er die ersten Indizien fest, dass es sich hier um eine Kirche im gotischen Stil handelt. Auch die alte Sakristei betrachtete Marstaller genauer. Sie sei „der letzte authentisch gewölbte Raum“ der Kirche. Ein Kreuz ziert die Decke, an dessen Knotenpunkt ein „spannender, merkwürdiger und irritierender“ Schlussstein sitzt, wie der Bauhistoriker mit einem Lächeln erzählte. Was genau er darstellen soll, sei nicht bekannt. Das Gewölbe, dessen Portal: „Diese Formen sind alles andere als romanisch“, lautete Marstallers Einschätzung. Und auch der Turm falle nicht unter diese Bezeichnung.

Der Bestimmung der Bauzeit nahmen sich Tilmann Marstaller und sein Team mit Hilfe von Dendrochronologie an. Diese wissenschaftliche Methode erlaubt die jahreszeitengenaue Bestimmung des Alters der in einem Gebäude verwendeten Hölzer. Dabei zeigte sich: Die Fälldaten der Hölzer, aus denen die entnommenen Proben stammten, bewegten sich im Bereich weniger Jahre. Die ältesten wiesen auf den Winter 1471/72, die ältesten auf das Frühjahr 1479. „Ein ganz einheitlicher Bau“, kommentierte Marstaller. Das Langhaus- und das Chor-Dachwerk wurden innerhalb eines Jahres errichtet. Etwas länger dauerte es mit dem Turm. Gerüsthölzer, die gefunden und untersucht wurden, stammen aus dem Winter 1475/76. Die Steinbearbeitungen, fuhr Marstaller fort, bestätigen die Untersuchungen am Holz. Sie deuten auf eine Bauzeit zwischen 1469 und 1479 hin. Aber ist die Kirche nun Tailfingens ältestes Gebäude? „Jein“, meinte Marstaller schmunzelnd. Eine Scheune in der Nebringer Straße könnte diesen Titel für sich beanspruchen. Sie stammte laut dendrochronologischer Untersuchung aus dem Jahr 1452. Allerdings wurde sie zwischenzeitlich abgerissen, was die Kirche nun doch zum ältesten noch stehenden Gebäude des Gäufeldener Teilorts macht.

„Relativ wenig Bauschmuck“ sei an der Kirche zu sehen. Auf diese Form der Architektur habe man in Tailfingen verzichtet. Es könnte sein, dass sich unter dem Putz ungeahnte Schönheit in Form gemalter Bilder verbirgt. Die Innenausstattung stammt etwa aus dem 18. Jahrhundert und ist damit nicht gerade ungewöhnlich. Die Glocke allerdings, „wirklich ein tolles Ding“, fand Marstaller, ist spätgotisch einzuordnen und stammt aus dem Jahr 1512.

Und was macht die Tailfinger Kirche nun wertvoll? „Es ist die handwerkliche Leistung, die dahintersteckt“, befand Tilmann Marstaller. Der Aufbau des Dachstuhls, „das ist ein Meisterwerk“. Das Dachwerk ist so clever konstruiert, dass es die Eigenlast des Daches tragen konnte und zugleich verhinderte, dass sich die Dachbalken aufgrund der großen Spannweite des Daches zu sehr durchbiegen konnten. „Das Dachwerk“, so Marstaller, „ist das Juwel der Kirche.“ Deswegen schauten er und die Besucher sich diesen Kirchenbestandteil nach dem Vortrag in Ruhe und sehr genau von Nahem an.