Klassik, wie sie einst klang

Selten nur erleben die Freunde klassischer Musik Aufführungen von vergleichbarer Authentizität. Das Piano, der Flügel – sie klingen heute anders als zur Zeit der großen Komponisten. Yuko Abe-Haueis, Konzertpianistin aus Japan, lebt in Gärtringen, pflegt den weichen Klang des Hammerklaviers und weiß auch: Die Klassik wurde nicht nur von Männern geschrieben.

Von Thomas Morawitzky

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Yuko Abe-Haueis ist eine vielseitige Interpretin – sie hat Aufnahmen zeitgenössischer Musik veröffentlicht, pflegt die Musik von Carl Philipp Emanuel Bach, Schubert und Chopin. Sie wurde in Japan geboren, hat das Fortepiano und das Cembalo in Europa studiert und organisierte 2010 zum ersten Mal ein Festival für Hammerklavier in Stuttgart. Die Kirche St. Veit in Gärtringen etablierte sich schnell als eine Spielstätte außerhalb Stuttgarts. Nun trat Abe-Haueis zwei mal dort auf, spielte am Vormittag im evangelischen Gemeindehaus unter dem Titel „Klassik ist klasse“ für Schüler, gab am Abend dann einen Kammermusikabend in St. Veit. Bei beiden Konzerten wurde sie von Hans-Joachim Berg an der Violine und Detmar Leertouwer am Violoncello begleitet.

Saiten im Holzrahmen

Das Hammerklavier oder Fortepiano unterscheidet sich in seinem Klang deutlich von Instrumenten heutiger Bauart – es ist kleiner, seine Saiten werden von einem Holzrahmen getragen. Bei dem schönen, in Nussbaum gearbeiteten Instrument, das Yuko Abe-Haueis in der St.-Veit-Kirche spielt, handelt es sich um einen Nachbau, der im Jahr 2000 von Michael Walker in Schönau-Altneudorf gefertigt wurde; das Original stammt von 1820. Das Hammerklavier besitzt zudem geringere Abmessungen als seine Nachfolger; das Instrument, in dessen Tasten sich Yuko Abe-Haueis versenkt, gehört noch einer größeren Bauart an. Selten, eigentlich nur bei Anlässen wie dem Fortepiano-Festival Stuttgart, erhält ein Publikum Gelegenheit, dem Spiel auf solchen Instrumenten zu lauschen, Kompositionen der Klassik in jenem Klangbild zu erleben, für das sie geschrieben wurden. Yuko Abe-Haueis möchte mit ihrem Festival jedoch noch mehr bieten: Die Einführung des Frauenwahlrechtes jährt sich zum 100. Mal in Deutschland; seit 100 Jahren dürfen Frauen sich in Deutschland auch in Kunstakademien einschreiben. Gelegenheit, daran zu erinnern, dass auch im Feld der klassischen Musik viele Frauen wirkten, die heute zumeist vergessen sind.

Eine von ihnen war Louise Farrenc, die 1804 geboren wurde, 1875 verstarb. Sie erfreute sich großer Popularität, wurde nach ihrem Tod umgehend vergessen, erst Ende der 1990er Jahre wiederentdeckt und eingespielt. Farrenc stand stark unter dem Einfluss Beethovens, neben den Yuko Abe-Haueis sie in ihrem Konzert stellt, beschäftigte sich mit Haydn und Mozart, war Zeitgenossin von Mendelssohn. Schumann, Chopin und Liszt. Ihr Klaviertrio opus 33 in Es-Dur ist Beispiel für ihren Kompositionsstil zwischen Klassik und Romantik.

Beethovens Klaviertrio opus 1 Nr. 3 in c-Moll bildet den Kontrast zu diesem Stück, macht deutlich, was Farrenc von Beethoven übernahm – und macht auch deutlich, worin sie sich von diesem Vorbild abhebt. Das größere, weiterschweifende romantische Gefühl, das Farrenc in ihrem Stück ausspricht und das Yuko Abe-Haueis auskostet, geht hinaus über Beethovens Strenge. In der Kirche St. Veit haben sich nur wenige Zuhörer versammelt, um dem zu lauschen. Wie immer erreicht der außergewöhnliche Abend in Gärtringen nur ein treues Publikum von gut drei Dutzend Musikfreunden. Sie allerdings scheinen beglückt.

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Erstellt:
14. November 2018

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