Musikalische Lichtblicke in schweren Zeiten

Von Nadine Dürr

Samstag, 15 Uhr: Am Krankenhaus Herrenberg öffnen sich nach und nach die Fenster. Von unten herauf dringt die Stimme Pascal Blenkes. Der Sänger ist Stipendiat des Stuttgarter Vereins „Yehudi Menuhin Live Music Now“ und bringt mit Pop- und Jazz-Titeln Farbe in den Alltag der Patienten und Krankenhaus-Mitarbeiter.

Musikalische Lichtblicke in schweren Zeiten

Pascal Blenke am Piano vor dem KrankenhausGB-Foto: Bäuerle

Von Lady Gaga bis Bruno Mars, von Stevie Wonders „I wish“ bis zu Joseph Kosmas „Autumn leaves“ erstreckt sich die musikalische Medizin, die Pascal Blenke an diesem Nachmittag verabreicht. Auch zwei Eigenkompositionen streut der 20-jährige Sänger, der sich selbst am E-Piano begleitet, ins Programm. Ins Schwarze trifft er mit dem Titel „We are the World“. 1985 als Aufruf zur Katastrophenhilfe im Zuge der Hungersnot in Äthiopien komponiert, beschwört der Chart-Hit auch inmitten der Corona-Krise die Solidarität unter den Menschen. Die Zuhörer in den Fenstern applaudieren.

Ohne Besuch sinddie Wochenenden lang

Abgesehen von Palliativfällen dürfen die Patienten im Rahmen der Viren-Eindämmungsmaßnahmen derzeit keinen Besuch empfangen, erzählt Christiane Jacob, Leitende Oberärztin der Herrenberger Klinik für Innere Medizin/Bereich Gas-troenterologie: „Die Wochenenden sind so noch mal länger.“ Sehr angetan war Jacobs Nichte Jelena Galic daher, als sie aus der Zeitung erfuhr, dass der Stuttgarter Verein „Yehudi Menuhin Live Music Now“ (LMN) seit kurzem Konzerte am Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus organisiert. Seit 2006 ermöglicht LMN Menschen in Einrichtungen wie Seniorenheimen, Gefängnissen und Krankenhäusern Konzerterlebnisse mit LMN-Stipendiaten. Bei Letzteren handelt es sich um begabte Studenten der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, die der Verein im Rahmen einer jährlichen Audition ausgewählt. Einst selbst LMN-Stipendiatin, überlegte Jelena Galic, ob ein Outdoor-Konzert nach dem Stuttgarter Vorbild nicht auch in Herrenberg denkbar wäre und wandte sich mit dieser Idee an ihre Tante. Christiane Jacobs musste nicht lange überzeugt werden, sie setzte sich umgehend mit LMN in Verbindung und kontaktierte zudem den Förderverein des Krankenhauses: „Der war sofort bereit und hat sehr unkompliziert eine Summe zur Verfügung gestellt.“ So konnte bereits am Ostersonntag ein erstes Konzert mit einem Violin-Duo stattfinden – damals noch ohne Audioverstärker

In 14 Tagen dernächste Auftritt

„Inzwischen hat Live Music Now einen Verstärker angeschafft, so hatten wir beim jetzigen Konzert etwas mehr Durchschlagskraft“, erzählt LMN-Betreuer Tilman Berger. Dadurch konnte man diesmal auch mehr Zuhörer ans Fenster locken – zuerst auf der Vorder-, dann auf der Hinterseite des Gebäudes. Die Konzerte indes bieten nicht nur dem Publikum etwas Abwechslung und Unterhaltung. Auch die Stipendiaten sind dringend auf die Mucken angewiesen. „Gerade fallen wegen der Corona-Krise sehr viele Auftritte weg, so dass die Studenten wesentlich weniger Geld zur Verfügung haben“, weiß Berger. „Letztes Jahr haben wir 160 Konzerte veranstaltet, bis jetzt sind es im ersten Quartal nur 30.“

Dankbar ist man daher, dass das Herrenberger Krankenhaus bereits ein weiteres Open-Air-Konzert in zwei Wochen plant. Christiane Jacob bewertet die Auftritte überaus positiv: „Es war sehr eindrucksvoll. Die Mitarbeiter haben es sehr begrüßt.“ Insgesamt etwa 20 Zuhörer, so die Ärztin, verfolgten das Konzert am vergangenen Samstag, darunter auch einige der rund zehn Corona-Patienten. Sogar Passanten blieben spontan stehen. Dies verwundert nicht: „Es gibt Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass Musik einen Einfluss auf die Stimmung hat“, weiß Jacob. Es sei erwiesen: „Musik hat eine aufhellende Wirkung.“ Dies dürfte auch Yehudi Menuhin geahnt haben, der sich nicht nur als Ausnahme-Geiger, sondern auch als ausgesprochener Humanist einen Namen machte: