Plötzlich kamen 18 Millionen Wählerinnen hinzu

Eine Zeitreise durch 100 Jahre Frauenwahlrecht präsentierte die Frauengeschichtswerkstatt Herrenberg am Samstag bei einer Matinee.

Von Konrad Buck

Lesedauer: ca. 3min 11sec
Die Frauen trugen Hüte, um zu verdeutlichen: „Wir ziehen den Hut.“ Von links: Helen Schelling, Illja Widmann, Elke Klump-Röhm, Dr. Claudia Nowak-Walz, Heidi Braitmaier, Valentina Finckh, Ursula Hauer GB-Foto: Bruer

Die Frauen trugen Hüte, um zu verdeutlichen: „Wir ziehen den Hut.“ Von links: Helen Schelling, Illja Widmann, Elke Klump-Röhm, Dr. Claudia Nowak-Walz, Heidi Braitmaier, Valentina Finckh, Ursula Hauer GB-Foto: Bruer

In Zusammenarbeit mit dem GEW- Kreisverband Böblingen veranstaltete die Herrenberger Frauengeschichtswerkstatt (FGW) zum 100-jährigen Bestehen des Frauenwahlrechts eine Matinee im Arbeiterzentrum in Böblingen. Zahlreiche interessierte Zuhörerinnen, aber auch einige männliche Zuhörer lauschten den einzelnen Vorträgen, die Dr. Claudia Nowak-Walz zusammen mit ihren Frauen der FGW vorbereitet hat. Dabei trugen die Rednerinnen allesamt Hüte, um zu verdeutlichen: „Wir ziehen den Hut!“ „Auch optisch passen die Hüte ins Bild, denn so stellt man sich vielleicht eine Frau vor 100 Jahren vor“, sagte Dr. Nowak-Walz, die in die Anfänge des Frauenwahlrechts in Württemberg einführte. Zusammen mit allen Beteiligten der Veranstaltung rezitierte sie ein Gedicht, das 1919 im eher konservativen Gäu- und Ammertalboten erschien. Darin heißt es: „Wählt alle! Auch ihr Frauen aus dem Gäu und Ammertal.“ Dabei übernahm jede der Vortragenden eine Zeile, und so standen im Publikum immer mehr Personen auf und erhoben ihre Stimme, ähnlich wie zum Ende des Ersten Weltkriegs, als sich immer mehr Stimmen für das Recht der Frauen erhoben.

Dieser Aufruf markierte eine Zeitenwende in Deutschland, wie Dr. Nowak-Walz berichtet: Kaiser Wilhelm II. hatte abgedankt, die Monarchie war Geschichte, und mit der November-Revolution begann eine neue Zeit. Trotz der wirtschaftlichen Notlage und politischer Verunsicherung erlebten viele Zeitgenossen diese Jahre als Aufbruch, in vielen Städten, auch Stuttgart, haben Arbeiter- und Soldatenräte die Macht übernommen und provisorische Regierungen eingesetzt. In der Folge wurde im November 1918 die Republik ausgerufen, was den Weg ebnete für das Kriegsende. Anschließend gab der Rat der Volksbeauftragten in einem Aufruf an das deutsche Volk zahlreiche Neuerungen nach dem Krieg bekannt. Darunter befindet sich auch eine Zeile, die laut Dr. Nowak-Walz wohl die bedeutendste für die Geburtsstunde des Frauenwahlrechts darstellt: „Alle Wahlen sind fortan […] für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“ Damit wurde Wirklichkeit, wofür viele Parteien und Bewegungen Jahre zuvor gekämpft hatten: Frauen durften wählen und gewählt werden. Der erste Wahltermin fiel letztlich auf den 19. Januar 1919, weshalb nicht nur die Frauengeschichtswerkstatt, sondern viele Institutionen deutschlandweit diesen Tag feiern. Mit Einführung des Frauenwahlrechts kam mit 18 Millionen die größte Gruppe an Wählern hinzu.

Jedoch galt es das Recht den Frauen der damaligen Zeit auch zu erklären und sie als Wählerinnen und Kandidatinnen zu werben. Hierbei wurden die Ausschüsse zur „Vorbereitung der Frauen für die Nationalversammlung“ und zur „Aufklärung über das Frauenwahlrecht“ aktiv. Frauen erlebten zum ersten Mal, dass ihre Stimme gehört wird, wie es Elly Heuss-Knapp in einem Gedicht festhielt: „Frauen werbt, Frauen wählt, jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt.“

In den folgenden Monaten sprachen immer mehr Parteien die weibliche Bevölkerung gezielt an und versuchten sie als Wählerinnen und Kandidaten zu werben. Wie das gelang, erzählte Dr. Nowak-Walz in ihrem Bericht. Dabei ging sie auch auf die Reaktion der Frauen ein, die mit dem Lied „Raus mit den Männern aus dem Reichstag“ von Claire Waldoff 1926 ein Sprachrohr fand. Dieser Ruf nach Emanzipation bewegte einige Frauen in Württemberg zum Handeln, und so präsentierte die FGW sieben Frauen und deren Leben und Wirken. Dabei wurden folgende württembergische Abgeordnete der Weimarer Republik vorgestellt: Illja Widmann präsentierte das Leben Clara Zetkins, die als Herausgeberin der Zeitschrift „Die Gleichheit“ entscheidend zur Gleichberechtigung beitrug. Heidi Braitmaier beleuchtete die Biografie von Laura Schradin, die als engagierte Rednerin mit ihrer mitreißenden Art zahlreiche Frauen jener Zeit begeisterte. Anna Blos wurde von Elke Klump-Röhm vorgestellt, im Anschluss folgte ein kurzer Einblick in das Leben von Mathilde Planck von Valentina Finckh. Nach einem Chanson aus den 20er Jahren führte Dr. Christel Grüner mit Luise Rist die Liste fort. Ursula Hauer präsentierte Leben und Werk der Maria Keinath, und Elke Klump-Röhm erzählte abschließend von Emilie Hiller, bevor die FGW zu Sekt und Häppchen einlud.

Mit dieser politischen Wende wurden 1919 neue Hoffnungen geweckt, die heute nach wie vor aktuell sind. Aus diesem Grund hat die Frauengeschichtswerkstatt mit dieser Matinee bereits zum zweiten Mal dieses Thema beleuchtet. Doch der nächste Termin folgt: Am 23. März lädt die FGW um 15 Uhr in den Klosterhof Herrenberg unter dem Motto „Frauen mischen mit!“ ein.

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Erstellt:
21. Januar 2019

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