Die Stadtverwaltung Herrenberg plant, die Betreuungszeiten in den Kitas mit verlängerten Öffnungszeiten zu kürzen. Gleichzeitig – wenn auch nicht damit im Zusammenhang – steigen die Gebühren (der „Gäubote“ berichtete). In kürzester Zeit haben sich nun mehr als 60 Eltern zu einer sogenannten Elternwerkstatt zusammengefunden. Die wollten nicht warten, bis in einem halben Jahr wieder Elternbeiratswahlen sind und sie sich dafür aufstellen lassen können. Denn ihr Anliegen müssen sie jetzt vertreten, bevor der Gemeinderat Ende Januar die Entscheidung trifft. Sie fordern zukunftsgerichtete Lösungen, die die Eltern nicht in eine Notlage bringen.
In der jetzigen Formation hat sich die Gruppe erst vor rund drei Wochen zusammengeschlossen. Ausgehend von der Kita Torstraße in Gültstein, in der die Lage laut Eltern schon seit Jahren sehr angespannt ist, Schließzeiten und Notbetreuung inklusive. Bei den Erziehern gebe es sehr hohe Fluktuation, sagt Rijan Kovacs, Vater eines Kindes, das die Einrichtung seit zweieinhalb Jahren besucht. Er ist zudem der Sprecher der Elternwerkstatt. Über Kontakte und Gespräche habe man weitere Eltern anderer Kitas in Herrenberg erreicht, die gleicher Ansicht sind. Und konkrete wie konstruktive Vorschläge hat die Initiative auch schon: Eine Lösung könnte sein, sich auf Basis von Paragraf 11 KiTaG an angrenzenden Kommunen zu orientieren und auf bewährte Modelle zurückzugreifen.
Den Erprobungsparagrafen gibt es seit Anfang des Jahres und er ermöglicht größere Freiräume bei der Gestaltung des Kitabetriebs. An Stellschrauben, die bisher quasi unantastbar waren, darf jetzt gedreht werden. Dazu gehören der Betreuungsschlüssel und der Qualifikationsstand des Personals. Auch Fachfremde dürfen nun eingestellt werden. „Das ist günstiger und löst das Personalproblem. Viele in Baden-Württemberg machen das schon so“, erklärt der Vater. Nur in Herrenberg sei das bisher offenbar keine Option. „Das Argument ist gerne, dass die Betreuungsqualität dann sinkt. Aber in einer Zeit, in der uns die Rahmenbedingungen in echte Schwierigkeiten gebracht haben, müssen wir flexibler sein. Es kann nicht mehr das Ziel sein, an unseren obersten Qualitätsansprüchen festzuhalten, wenn wir in Not sind, die Betreuung überhaupt noch aufrecht erhalten zu können. Die Lösung muss zur Lebensrealität der Betroffenen passen.“
Die Elternwerkstatt kritisiert die Entscheidung der Stadtverwaltung, den „einfachsten Weg gegen den Personalmangel im Kinderbetreuungsbereich und zur Haushaltskonsolidierung“ zu wählen, ohne ernsthaft nach alternativen Lösungen zu suchen. Andere Städte in Baden-Württemberg, wie beispielsweise Radolfzell, Konstanz, Bad Hersfeld, Sindelfingen und Böblingen, setzen den neuen Paragrafen bereits erfolgreich um. „Sie beweisen, dass es auch ohne zusätzliche Belastungen für den Haushalt möglich ist, eine bedarfsgerechte Betreuung zu gewährleisten. Durch die Einbindung von Sozialträgern und mit Bürokratieabbau können stabile Öffnungszeiten sichergestellt werden.“ Auch Tübingen sei derzeit in der Umsetzung.
Er verweist unter anderem auf die Erfahrungen aus Radolfzell, wo Eltern zeitweise als fachfremde Unterstützung eingebunden wurden, bis ein Sozialträger die Kita entlasten konnte. „Niemand möchte Fachpersonal die Arbeit wegnehmen – und Eltern erst recht nicht die Aufgaben der Erzieher übernehmen. Das wäre anmaßend“, betont Rijan Kovacs. „Unser Ziel ist es, mit der Stadt in einen konstruktiven Austausch zu treten, um gemeinsam die Kürzung der Betreuungszeiten zu verhindern.“ Es gehe nicht darum, bestehende Strukturen zu ersetzen, sondern darum, tragfähige Lösungen zu entwickeln. Es gebe deutliche Alternativen, die sowohl die Qualität der Betreuung sichern als auch den Bedürfnissen der Eltern und Kinder gerecht werden.
Die Elternwerkstatt stellt die Frage, ob die Stadtverwaltung tatsächlich eine umfassende Expertise zu den möglichen Alternativen eingeholt hat und ob die Auswirkungen dieser Kürzungen ausreichend berücksichtigt wurden. Es könne nicht sein, dass „die Stadt es sich so einfach“ mache und auf dem Rücken der Familien eine Verschlechterung der Betreuungssituation vollziehe. „Ideen und alternative Konzepte wurden bislang nicht mit dem Gesamtelternbeirat diskutiert und werden derzeit von den Kitas abgelehnt“, so die Elternwerkstatt.
Die Kürzung der Betreuungszeiten sei nicht nur „eine kurzfristige Fehlentscheidung, sondern ein falsches Signal für die Zukunft“. Der Fachkräftemangel im Betreuungsbereich werde die Situation in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Zukünftig werde es noch schwieriger, den Bedarf adäquat zu decken. Ohne innovative und langfristig tragfähige Lösungen werde sich das Problematik nur weiter zuspitzen.
„Zukunftsgerichtet ist anders“, sagt Stephanie Schirmer, ein weiteres Mitglied der Elternwerkstatt. „Es ist höchste Zeit, dass die Stadt Herrenberg aktiv nach Alternativen sucht, anstatt die Kinderbetreuung und somit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter zu verschlechtern.“ Die Gruppe will die Stadt mit Expertenwissen und praktischen Lösungsvorschlägen unterstützen. Die Elternwerkstatt ruft alle Interessierten auf, sich aktiv zu beteiligen.