Von der Theorie geht’s in die Praxis

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Studenten und Dozent (von links): Julian Drewes, Marina Hermann und Professor Harald Thorwart. Im Hintergrund sind das Windrad und der Kienzlebau der Hochschule für Forstwirtschaft zu sehen GB-Foto: Krause

Studenten und Dozent (von links): Julian Drewes, Marina Hermann und Professor Harald Thorwart. Im Hintergrund sind das Windrad und der Kienzlebau der Hochschule für Forstwirtschaft zu sehen GB-Foto: Krause

Wer öfter mit Elektroauto, E-Roller oder Pedelec unterwegs ist, kennt das Problem: Noch gibt es kein gutes Netz an Auftankmöglichkeiten. Für Studierende, Lehrende und Besucher der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg, die elektrisch unterwegs sind, gibt es indes bald eine neue Lademöglichkeit: Auf dem Hochschulparkplatz, genau dort, wo im vergangenen Jahr ein mit Fotovoltaikmodulen bestückter Carport errichtet wurde, der seither sauberen Sonnenstrom ins Netz der Stadtwerke Rottenburg einspeist, wird dieser Tage eine Elektro-Ladestation errichtet, die sowohl für Autos als auch für Räder und Pedelecs Gelegenheit zum Auftanken bietet.

Bereits vor zwei Jahren wurde ein Windrad projektiert und errichtet, das weithin sichtbar auf dem Rasen vor dem modernen Holzgebäude der Hochschule steht. Konzipiert wurden diese Projekte von Studierenden des Studiengangs „Erneuerbare Energien“. Unter der kundigen Anleitung von Professor Harald Thorwart stellen sich jeweils Studierende im sechsten Semester der Herausforderung, eine energetische Anlage zu projektieren. Sie beginnen damit, eine Idee zu entwickeln, ermitteln den Bedarf, kümmern sich um alle rechtlichen Aspekte und um die Finanzierung und stellen das Projekt in Eigenregie und quasi unter realen Bedingungen fertig.

Professor für Feuerungstechnik

„Uns ist es wichtig, die Studierenden für ihre Aufgaben im Bereich erneuerbare Energien umfassend und möglichst praxisnah auszubilden. Neben dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundwissen und Kenntnissen zu energietechnischen Anlagen gehört dazu auch Methodenkompetenz und das Wissen, wie ein Projekt zu organisieren und zu leiten ist“, erläutert Professor Thorwart, der in Rottenburg seit fünf Jahren die Professur für Feuerungstechnik innehat. Im Plenum hatte der Kurs sich zunächst auf das Projekt „Stromtankstelle“ festgelegt mit dem erklärten Ziel, Hochschulmitarbeiter und Studierende zur Nutzung nachhaltiger Verkehrsmittel zu bewegen und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zu bieten ihre Elektrofahrzeuge vor Ort aufzuladen. „Wir wollten eine Ladesäule mit möglichst vielen Nutzungsoptionen, die bilanziell mit dem eigenproduzierten Strom betrieben wird“, erklärt Marina Hermann, die gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Julian Drewes die studentische Projektleitung innehat. „Wichtig war uns auch der Forschungshintergrund; sie sollte auslesbar sein, damit Ergebnisse wie etwa Lastprofile und Nutzungsverhalten abgeleitet werden können.“

Der von den beiden Kleinanlagen erzeugte Strom soll rein rechnerisch für den Betrieb der Ladesäule genutzt werden. Das Windrad schlägt hierbei mit 3,5 Kilowatt (kW) zu Buche, die Fotovoltaik mit 4,9 kW. „Wir nutzen das Netz gewissermaßen als Stromspeicher, indem wir unseren selbst erzeugten Strom einspeisen und ihn zu einem anderen Zeitpunkt wieder zurückholen“, erklärt Professor Thorwarth. Mit einer Leistung von 22 kW wird die Stromtankstelle Gelegenheit bieten, zwei Elektroautos zeitgleich aufzuladen. Für Fahrer von E-Bikes und Pedelecs stehen ebenfalls zwei Ladeanschlüsse zur Verfügung.

Um das Projekt im vorgegebenen zeitlichen Rahmen von einem Semester zu bewerkstelligen, teilten sich die Studierenden in Gruppen auf, die jeweils verschiedene Teilaspekte bearbeiteten. Eine Gruppe befasste sich mit den Investitionskosten und ging auf Sponsorensuche. Fündig wurden sie unter anderem bei den Stadtwerken Rottenburg, die auch ihr Know-how zur Verfügung stellten. Eine zweite Gruppe versuchte, mit einer Umfrage den hochschulinternen Bedarf abzuklären. Die dritte Gruppe befasste sich mit dem möglichen Standort und verhandelte mit den betreffenden Behörden. „Das war eine längere Findungsphase, anfangs waren sieben oder acht Standorte in der Auswahl“, erinnert sich Julian Drewes. „Wir haben uns dann dafür entschieden, die Ladestation beim PV-Carport zu errichten, da dort bereits der Container mit den Anschlüssen von Windrad und Fotovoltaikanlage steht und Leerrohre vorhanden sind.“

Risiken und Probleme

Während Standortsuche und Sponsoring relativ wenige Probleme bereiteten, beschäftigten vermeintliche Kleinigkeiten wie etwa die Wahl der Ladesäulen, Lademodi und Stecksysteme, die in unterschiedlichen Preislagen und mit verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten auf dem Markt sind, die Studierenden lange. Ein großes Fragezeichen gibt es noch beim Abrechnungssystem. „Wir hatten mit allen möglichen Risiken gerechnet, aber ausgerechnet da sind wir auf Probleme gestoßen“, erzählt Julian Drewes. Einerseits wolle und könne man der Verwaltung mit der Ladesäule keine zusätzliche Arbeit aufbürden, andererseits sei die externe Verwaltung oder gar der externe Betrieb der Ladestation zu kostenaufwendig. „Die Rahmenbedingungen hier sind speziell, aber wir werden eine Lösung finden“, ist Drewes überzeugt. „Bisher haben wir alles hinbekommen, alles hat funktioniert“, stimmt Marina Hermann zu.

Im Zuge des Projekts wird auch der Verteiler optimiert, an dem die beiden Kleinkraftanlagen angeschlossen sind. „Das Ganze ist ausbaufähig konzipiert, so dass in Zukunft auch eine weitere Ladesäule angeschlossen werden könnte“, erklärt Thorwarth, der auch mit den Sechstsemestern im nächsten Jahr ein Projekt angehen wird. Marina Hermann und Jürgen Drewes sind begeistert vom Praxisbezug des Kurses. „Das ist eine Super-Erfahrung!“, schwärmt Hermann. „Was bei großen Projekten passiert, ist auch im Kleinen so – und man lernt dabei, mit allen möglichen Situationen umzugehen. Es ist zwar mit viel Arbeit verbunden, macht aber auch sehr viel Spaß!“ Für die Hochschule sind die drei sichtbar funktionierenden Anlagen natürlich auch gute Imageträger. „Schließlich steht die Hochschule für Nachhaltigkeit, da wollen wir auch leben, was wir predigen“, betont der Rottenburger Professor Harald Thorwarth. JUTTA KRAUSE

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Erstellt:
29. Juni 2018

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