Der Leser rührt sich nicht vom Fleck

Von Thomas Morawitzky

Was ist besser – Sport oder Lesen? Schüler der Haslacher Grundschule probten eine Woche lang mit Herrenberger Gymnasiasten ein Stück, das zuletzt beides unter einen Hut bringt. „Leg das Buch weg, Boris!“ heißt es. Am Freitagabend brachten die jungen Schauspieler die Geschichte vom abenteuerlichen Stubenhocker in ihrer Schule vor ein begeistertes Publikum.

Der Leser rührt sich nicht vom Fleck

„Wer liest, tut doch nichts Böses! Oder doch?“ Das ist die Frage, die die Autorin Alexa Thiesmeyer in ihrem Theaterstück stellt. „Leg das Buch weg, Boris!“ heißt dieses Stück, und es handelt von einem, der nur liest. Boris heißt er, Hauptfigur, aber schwerlich ein Held, es sei denn durch Trotz. Er versinkt in König Artus, in Karl May und vielem anderen; er weigert sich, sich vom Fleck zu rühren. Das geht so weit, dass seine Eltern die Wohnung wechseln, den sturen Boris in der alten zurücklassen. Von den Umzugsarbeiten seiner Eltern hat Boris schlicht keine Notiz genommen. „Wir haben alles versucht. Aber Boris hat nichts gehört und nichts gesehen, nur sein Buch. Da sind wir schließlich gegangen!“ Bald wird Boris von neuen Mietern aufgefunden, die nicht sehr freundlich sind: „Was dieser Junge braucht, ist eine Tracht Prügel!“, donnert der frisch eingezogene Vater. Wolf-Dieter Schlapphöfer heißt der zornige Mann, Ursula Schlapphöfer heißt seine Frau.

Alle werden infiziert

Boris kommt auf die seltsamsten Ideen. Alles, das taugen könnte zum Sport, zum Spiel, wird von ihm verwandelt in ein Utensil des buchwurmigen Stubenhockers: Tischtennisplatten zu Bücherregalen! Selbst die Pädagogin Frau Klug, die begeistert von einem Jungen hört, der wirklich noch Bücher liest („Welcher Reichtum muss in seinem Kopf sein!“), zweifelt. „Auf einen Baum klettert Boris nur, um in Ruhe zu lesen“, erzählt Frau Flaschke, die Boris-Mutter. Kein Wunder, dass auch die anderen, sehr lebhaften Kinder, den versunkenen Boris sehr seltsam finden. Zuletzt jedoch gelingt es ihm, sie zu infizieren. Und da sitzen sie alle, verloren in der Burg Schreckenstein. Lesen bildet nicht nur. Es ist gefährlich. Die 14 Grundschüler der Haslacher Schule freilich, die dieses Stück aufgeführt haben, lesen zuletzt nicht – sie singen „Happy Birthday“, denn irgendjemand hat Geburtstag. Nur rund 20 Minuten hat ihre kleine Show vom Büchernarren gedauert, aber auf der Bühne in der Schule ging es lebhaft dabei zu. Seit drei Jahren kooperiert die Haslacher Schule in jedem neuen Jahr mit dem Herrenberger Andreae-Gymnasium – neun Gymnasiasten aus dem Kurs Literatur und Theater, zumeist schon mit dem Abitur in der Tasche, arbeiteten eine Woche lang gemeinsam mit den Grundschülern an der Aufführung; am Freitagnachmittag, zur großen Stunde vor vielen Eltern, Verwandten und Geschwistern, kam ein Schüler aus der Technik-AG des Andreae-Gymnasiums hinzu, um allem den letzten Schliff zu geben.

Bis dahin herrschte fleißiges Kulissenschieben auf der kleinen flachen Schulbühne. Tischtennisplatten und Bäume erscheinen, kleine Menschen schlüpfen lebhaft in größere Rollen, spielten das Kindsein und das Erwachsensein, polterten als Vater Schlapphöfer, verzweifelten als Mutter Flaschke, rollten mit den Augen als Lehrerin Klug: „Du liebe Güte, das sieht ja verboten aus!“