Wer kann sich durchsetzen?

Von Thomas Oberdorfer

Fußball: Bei der VR-Talentiade in Nufringen sieben die DFB-Stützpunkttrainer im Bezirk Böblingen/Calw 15 Talente des Jahrgangs 2010 aus. Spielverständnis und Handlungsschnelligkeit sind entscheidend

Wer kann sich durchsetzen?

Beim Sprinttest über eine Strecke von 20 Metern kommt es auf die Schnelligkeit an: In mehreren Bereichen werden die Talente abgeprüft GB-Fotos: Oberdorfer

In diesen von Unwetter und dauerhaften Regengüssen dominierten Tagen und Wochen sei das erwähnt: Das Wetter war top bei der Sichtung von Nachwuchsfußballern des Jahrgangs 2010 gestern auf dem Sportgelände des SV Nufringen. Der Himmel sommerlich blau, die Temperaturen morgens noch angenehm um die 20-Grad-Marke herum. Für 15 Spieler scheint nach Sprint, Dribbling und Spielform tatsächlich weiterhin die Sonne: Sie wurden ins DFB-Stützpunkttraining in Nufringen eingeladen, es findet stets montags statt.

Und dann war es zu Ende: Die Engländer haben Deutschland im Achtelfinale der Europameisterschaft mit 2:0 geschlagen, der DFB war blamiert. Weniger ob des Ergebnisses, mehr noch ob der durchschnittlichen Vorstellung. Viele Parameter belegen, dass Deutschland momentan den Anschluss an die Spitze des Weltfußballs verloren hat. Laut einer Statistik belegt die DFB-Elf bei gewonnenen Dribblings von 32 Teams bei der EM eine Position im letzten Drittel. Auf gut deutsch: Außer einen Baumstamm oder eine Mülltonne spielten die DFB-Kräfte kaum einen Gegner aus.

Was das mit der Sichtung von jungen Fußballern des Jahrgangs 2010 zu tun hat? Sehr viel, denn auf dieser Ebene werden die ersten Grundlagen dafür gelegt, dass die Kicker in das Duell Mann gegen Mann gehen, dass es ihnen gelingt, Überzahl zu schaffen, dass sie schlicht versuchen, einen Gegner auszuspielen.

Schon vor dem offiziellen Beginn um9 Uhr ist der Sportplatz des SV Nufringen gut besucht. 80 Kinder nehmen an der Eingangssichtung des Jahrgangs 2010 teil, die Vereine des Bezirks Böblingen/Calw durften dafür Spieler benennen. Unter den 80 Teilnehmern sind drei Mädchen und drei Torhüter. Sieben Trainer kümmern sich um den Nachwuchs: Jochen Hirneise, Michael Sattler, Marcus Binder, Siegfried Puskeiler, Josef Loyal, Timo Mast und Florian Schmid. Vor Ort ist auch Thomas Sinz, Stützpunktkoordinator seitens des DFB, er ist gemeinsam mit Oliver Kuhn für die Stützpunkte im Gebiet des Württembergischen Fußballverbands (WFV) zuständig.

„Wir beurteilen die Schnelligkeit, Tempodribbling und die Leistung bei einem Spiel vier gegen vier“, sagt Jochen Hirneise. Bei den Spielern wird die Zeit über eine Strecke von 20 Meter gemessen, gedribbelt wird um Stangen, auch dabei wird die Zeit gestoppt. Wesentlich für die Beurteilung der Kicker ist aber die Leistung in den verschiedenen Partien in Kleingruppen. Hirn-eise: „Hier erkennt man die Handlungsschnelligkeit. Man sieht, wer eine Mannschaft führen, wer Kommandos geben kann. Wer kann sich durchsetzen gegen den Gegner, wer erfasst eine Spielsituation? Das sehen wir in diesen Spielen.“

Was auffällt: Es gibt junge Kicker, die mit dem Ball auf du und du sind. Die geschwind im Slalom durch die Stangen wedeln, die in den Spielen adäquat in den jeweiligen Situationen handeln. Es gibt aber auch Akteure, die hoffentlich nicht zu den Besten ihres Vereins gehören. Denn bei ihnen hapert es an der Koordination, am Tempo – der Ball ist nicht zwingend der beste Kumpel. Eines ist aber zu berücksichtigen: Aufgrund der Corona-Pandemie hat der Nachwuchs monatelang nicht an den Ball treten dürfen, diese lange Pause macht sich unweigerlich bemerkbar. „Die Fitness und die Spritzigkeit fehlen etwas“, stellt Michael Sattler fest.

Die Corona-Pandemie hat auch das Stützpunkttraining in Nufringen erheblich beeinflusst. Ständig neue Regeln mussten beachtet und umgesetzt werden. Kein Training, Einzeltraining, Training in Kleingruppen: Die Vorschriften änderten sich dauernd. „Das Einzeltraining dauerte immer eine halbe Stunde. Es war sehr intensiv, wir haben diese Zeit auch für individuelle Gespräche genutzt“, sagt Hirneise. In normalen Zeiten kommen die Kinder innerhalb einer Saison auf 40 Einheiten im Stützpunkttraining über jeweils 90 Minuten. „Chancen herausspielen, Tore erzielen, das Spiel aufbauen. Das ist der rote Faden“, sagt Thomas Sinz. Zudem werde der Fokus auf „erfolgreiches Dribbling“ gelegt. Einen großen Stellenwert haben die Spielformen in Kleingruppen wie „Vier gegen vier“, „Fünf gegen fünf“ oder „Sechs gegen sechs“. „Sie sind wettkampftauglich“, sagt Sinz, viele Elemente des Fußballs sind dabei gefordert. Sinz spricht zudem vom „relativen Alterseffekt“. Die Spieler eines Jahrgangs, die in dessen ersten Monaten geboren wurden, haben oft einen körperlichen Vorteil gegenüber den Spätgeborenen eines Jahrgangs. Sinz: „Unsere Aufgabe ist es auch, Entwicklungspotenziale im Blick zu haben und zu erkennen.“ Und dann wäre noch der wichtige Aspekt, die Kinder in jungen Jahren auf verschiedenen Positionen kicken zu lassen. Den Verteidiger in der Offensive, den Stürmer in der Abwehr. Dadurch lernt der Nachwuchs, sich auf vermeintlich fremde Situationen einzustellen und lernt, diese im Ernstfall dann auch meistern zu können.

Hier dient die DFB-Elf ebenfalls als gutes Beispiel, aber im negativen Sinn: Das Defensivverhalten von Kickern wie Leroy Sane oder Timo Werner sah bei der EM eher, nun, ungeschickt aus. „Man darf die Spieler nicht zu früh auf eine Position festlegen“, sagt Sinz. Tja, und noch etwas fehlte der Nationalmannschaft: Das vertikale Spiel, das schnelle und zielstrebige Spiel in die Spitze. Gäbe es eine Statistik für die meisten auf den Flügeln abgebrochene Angriffe, der DFB wäre weit vorne. So verwundert es nicht, wenn Michael Sattler die Spieler seiner Gruppe auffordert: „Zeigt Euch, ihr müsst Euch uns aufdrängen. Geht nach vorne, steht nicht hinten herum, Ihr müsst den Ball wollen.“ Die Aussage dahinter war klar: Riskiert etwas, seid mutig, sucht den Abschluss.

Das gilt generell für alle Teilnehmer an der Eingangssichtung. Das gilt künftig für die 15, die ausgewählt wurden für die Teilnahme am Stützpunkttraining des Jahrgangs 2010 in Nufringen. Wobei diese Zahl und diese Spieler nicht in Stein gemeißelt ist: „Wir sichten nach, es können noch Spieler dazustoßen“, sagt Marcus Binder, denn aufgrund der Corona-Pause konnten die Trainer auch nicht in Punktspielen oder bei Turnieren sichten. Es können aber auch Spieler aus dem Stützpunkttraining herausfallen. Letztlich liegt es an jedem Einzelnen der nun Ausgewählten, ob für ihn in Sachen Fußball weiterhin die Sonne scheint.