„Das Tier bleibt unversehrt“

Vor fünf Jahren wurde festgelegt, dass ab dem 1. Januar 2019 keine Ferkel mehr betäubungslos kastriert werden dürfen. Doch kurz vor dem Stichtag einigten sich die Berliner Koalitionsfraktionen nun auf eine zweijährige Fristverlängerung. Allerdings ist diese Verlängerung noch nicht definitiv beschlossen – eine Abstimmung im Bundesrat ist für den 14. Dezember vorgesehen. Vor allem der Bauerverband strebt an, dass das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration verschoben wird.

Von Simone Denu

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Ferkelerzeugung in Tailfingen: „Ein großer Kreißsaal“ GB-Foto (Archiv): Holom

Ferkelerzeugung in Tailfingen: „Ein großer Kreißsaal“ GB-Foto (Archiv): Holom

Am Tailfinger Ortsrand befindet sich der landwirtschaftliche Hof von Martin Schäberle (40) und dessen Bruder Stephan Schäberle (35). Im Jahr 2010 haben die beiden Männer den elterlichen Betrieb übernommen und in diesem Zuge auch gleich erweitert. Im Stall der Ferkelerzeuger sorgen 500 Sauen für Nachwuchs, etwa 17 000 Ferkel kommen pro Jahr auf die Welt. „Wir haben sozusagen einen großen Kreißsaal“, sagen die beiden. Mit zwölf bis 14 Wochen, wenn die Ferkel rund 30 Kilo wiegen, verkaufen die Landwirte die Hausschweine an einen Mastbetrieb. „Allerdings nur in Süddeutschland“, erklärt Martin Schäberle. Ein Drittel der Tiere geht nach Bondorf in die Schweinemast.

Alle drei Wochen ist in den Tailfinger Stallungen Geburtstermin für eine Vielzahl Sauen. „Danach wird dann an zwei bis drei Tagen kastriert“, erklärt Martin Schäberle. Die etwa drei Tage alten und rund eineinhalb Kilo schweren Ferkel werden in einer Art Korb in Einkaufswagenoptik gefangen. Sie erhalten ein Schmerzmittel in den Nackenbereich gespritzt, dann wird den Tieren ein Eisenpräparat verpasst, der Schwanz um ein Drittel gekappt, anschließend werden die männlichen Ferkel kastriert. Mit einem Skalpell werden zwei etwa ein Zentimeter lange Schnitte gemacht, die Hoden herausgedrückt und dann entweder abgeschnitten oder abgerissen. „Bei uns wird geschnitten“, sagen die beiden Ferkelerzeuger. Am nächsten Tag sei der Schnitt bereits geschlossen. Martin Schäberle: „Sonst hätte man hier eine Keimeintrittspforte.“ Nach der Behandlung gebe es weder Infektionen noch Abszesse – das spreche für die Methode bei den hochempfindlichen Tieren. Das Schmerzmittel, das die Ferkel erhalten, diene der Schmerzlinderung, so Stephan Schäberle, gefordert werde jedoch die Schmerzausschaltung.

Im Juli 2013 wurde das Tierschutzgesetz geändert und die Ausnahme vom Betäubungsverbot bei der Ferkelkastration aufgehoben. Es gab eine Übergangsregelung, nach der die betäubungslose Kastration nur noch bis zum 31. Dezember 2018 gestattet sein sollte. Diese Regelung läuft demnächst aus – nun soll die Frist, nach Ansicht verschiedener Interessensgruppen, um weitere zwei Jahre verlängert werden.

Kastriert werden in Deutschland männliche Ferkel überhaupt nur deshalb, weil der Geruch und der Geschmack von Eberfleisch von den Konsumenten häufig als unangenehm empfunden wird. Laut Deutschem Tierschutzbund handelt es sich dabei nur um einen kleinen Prozentsatz von Tieren, bei dem es zu diesen Veränderungen kommt. Der Ebergeruch entwickelt sich durch Geruchsstoffe und Hormone, die in den Hoden der Schweine entstehen und über die Blutbahn auch in das Muskelfleisch gelangen. Rund fünf Prozent der Tiere würden diesen Geruch entwickeln. „Ein Geruch wie auf dem Bahnhofsklo“, beschreibt Martin Schäberle.

Drei gesetzeskonforme Varianten stehen den Schweinezüchtern an Alternativen augenblicklich zur Verfügung. Eine Möglichkeit ist beispielsweise die Jungebermast. Es erfolgt kein Eingriff beim Tier. Allerdings warnen Kritiker vor der erhöhten Aggressivität der unkastrierten Schweine mit dem der Pubertät des Tieres. Zweite Möglichkeit: die „Immunokastration“ – eigentlich eine zweimalige Impfung. Durch diese wird die Bildung von Geschlechtshormonen gehemmt, die Hoden bilden sich dadurch zurück.

Üblicherweise erfolgt die erste Impfung, wenn die Ferkel in den Maststall kommen, die zweite dann frühestens vier Wochen nach der ersten Impfung und spätestens vier bis sechs Wochen vor dem Schlachttermin. Auch hier ist – wie bei der Ebermast – kein chirurgischer Eingriff erforderlich. Laut Tierschutzbund gebe es keine Rückstände im Fleisch – außerdem handle es sich nicht um ein Hormon, das die Eber gespritzt bekommen. Die Injektion erfolgt mit einer Sicherheitsimpfpistole. Australien und Belgien beispielsweise praktizieren die Impfung gegen den Ebergeruch bereits seit mehreren Jahren. „In Australien gibt es nur noch die Immunokas-
tration“, sagt Dr. Thomas Steidl, Präsident der Landestierärztekammer Baden-Württemberg. Die Methode werde sowohl dem Tierschutz als auch dem Verbraucherschutz gerecht.

„Eine Zeit lang war das Fleisch als Hormonfleisch in Verruf, obschon in keinster Weise Hormone verwendet werden“, betont Martin Schäberle. Sein Bruder ergänzt: Durch die Impfung werden „nicht plötzlich die deutsche Bevölkerung zeugungsunfähig“. Für die Ferkelerzeuger eine praktische Variante – wie auch die Ebermast –, da sie sie zumindest arbeitstechnisch nicht tangiert. „Für die Mäster ist dies aber ein erheblicher Aufwand“, erläutert Stephan Schäberle. Die kleinen Ferkel das erste Mal zu spritzen, so der 35-Jährige, „geht ja noch“. Doch beim zweiten Mal, wenn sie an die 80 Kilo auf die Waage bringen, sei das kein Spaß: „Die laufen ja nicht her und lassen sich spritzen.“ 300 Ferkel zu impfen, ergänzt er, stellt er sich als „nicht lustig“ vor.

Eine dritte Methode ist die chirurgische Kastration bei Vollnarkose – mit dem Narkosegas Isofluran – plus der Gabe eines Schmerzmittels. Allerdings, so die bisherige Regelung, darf nur der Tierarzt die Betäubung vornehmen. Außerdem war das Narkosegas bislang noch nicht für die Ferkelkastration zugelassen. Am 19. November, informiert Daniel Dengler, zweiter Vorsitzender des Kreisbauernverbands Böblingen, habe das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit jedoch eine Zulassung für Isofluran zur Inhalationsnarkose auch für Schweine erteilt. „Es soll vom Bundeslandwirtschaftsministerium zeitnah per Verordnung eine Anwendung durch den Landwirt mit nachgewiesener Sachkunde ermöglicht werden“, so Dengler. Weiter offen sei hier jedoch der sichere Anwenderschutz. Sprich, die Sicherheit der Landwirte, die eventuell dem Betäubungsgas ausgesetzt sein könnten. Stephan Schäberle: „Wir arbeiten ja nicht in einem Operationssaal.“

Bei vielen Landwirten hat sich stattdessen ein „vierter Weg“ als bevorzugte Alternative herauskristallisiert: Die Ferkel sollen unter Lokalanästhesie kastriert werden – und die Injektion des Mittels sollen die Landwirte selbst vornehmen dürfen. Dadurch könnten Kosten gespart werden. In einer Pressemitteilung der Landestierärztekammer Baden-Württemberg wird die Landestierschutzbeauftragte Dr. Julia Stubenbord zitiert: Dieser „vierte Weg“ sei „aus Tierschutzgründen abzulehnen“. Eine Lokalanästhesie in den Hoden sei an sich sehr schmerzhaft und der Schmerz sei während des Eingriffs „nicht sicher“ ausgeschaltet. Da dem Tier mit der Injektion eventuell sogar noch mehr Schmerzen zugefügt werden, gilt die Methode als nicht tierschutzkonform. Beim vierten Weg handle es sich um eine Lokalanästhesie – eine örtliche Betäubung, wie beim Zahnarzt, erklärt Dr. Thomas Steidl. Die sogenannte „Leitungsanästhesie“, die Betäubung des Nervs, sei jedoch „höchst anspruchsvoll und unmöglich, von Laien durchzuführen“.

Daniel Dengler spricht sich für den „vierten Weg“ aus. „Diese Alternative, die die Landwirtschaft anstrebt, ist aber nicht zugelassen.“ Sie scheitere bislang an den gesetzlichen Hürden und der Tierärzteschaft. Für diese Variante wäre eine Gesetzesänderung nötig, so der 33-Jährige, der in Sindlingen einen Schweinemastbetrieb gemeinsam mit seinem Vater führt. „Das Problem ist, dass der Landwirt die Lokalanästhesie selbst durchführen möchte, dies aber bislang nicht darf.“ Diese Erlaubnis müsse per Gesetzesänderung geschaffen werden, erklärt Dengler, dessen Hof über 2 000 Mastplätze verfügt. Außerdem kann er sich nicht vorstellen, dass sich ein Tierarzt in den Stall stellt und Hunderte von Ferkeln kastriert. In Holland oder auch Dänemark sei die Kastration mit lokaler Betäubung durch den Landwirt gestattet. Daniel Dengler: „Auf Dauer ist es meine Hoffnung, dass der vierte Weg kommt.“

Bei der von Tierärzten favorisierten Immunokastration stellt Dengler es sich schwer vor, diese Variante der Bevölkerung zu vermitteln. Bei den Landwirten sei schließlich der Wille da, auf den Einsatz von Medikamenten zu verzichten – „und dann soll ich die Immunokastration einsetzen?“ Das hält Dengler für einen Widerspruch.

Für Martin Schäberle ist die Immunokastration der „persönliche Favorit“. Und auch Stephan Schäberle hält die Immunokastration – ebenso wie die Ebermast – für die Variante, bei denen der Tierschutz im Vordergrund stünde. „Das Tier bleibt unversehrt. Das wäre eigentlich der Weg, den man gehen müsste.“ Allerdings rechnet der Tailfinger nicht mit diesen Alternativen – zum einen, angesichts der Impfkosten von etwa vier Euro pro Ferkel, zum anderen, weil ja auch die Tiere vermarktet werden müssten. Angesichts der eventuellen Fristverlängerung erklärt Martin Schäberle: „Die Branche hat in den letzten Jahren geschlafen – man hätte in diesem Bereich weiterforschen und entwickeln müssen. Wir müssen das jetzt ausbaden.“

Die Sauenhalter in Deutschland könnten die Kastrations-Problematik nicht auf die Mastbetriebe abwälzen, findet Dengler: „Der Ferkelerzeuger benötigt den Mäster, der ihm die Tiere abnimmt, die er erzeugt hat.“ Er hätte ein Problem, wenn sein Absatzmarkt zusammenbreche. Mäster könnten kastrierte Ferkel aus dem Ausland beziehen – und die seien dann vielleicht auch über den „vierten Weg“ entmannt worden.

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Erstellt:
12. Dezember 2018

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