„Der Weg nach ganz oben ist noch sehr weit“

Der Haslacher Nico Kiener ist nicht nur Landestrainer des Handball-Verbandes Württemberg (HVW), sondern auch verantwortlich für den weiblichen Nachwuchs in Baden-Württemberg. Mit dem Auswahlteam hat er am Wochenende den Deutschland-Cup gewonnen (wir berichteten). Im Interview spricht er unter anderem über die Zusammenarbeit der drei Landesverbände in Baden-Württemberg und die Qualität der Nachwuchsarbeit im Land.

Von Robert Stadthagen

Lesedauer: ca. 5min 17sec
Nico Kiener: Engagiertes Coaching während des Deutschland-CupsGB-Foto: Drofitsch/Eibner

Nico Kiener: Engagiertes Coaching während des Deutschland-CupsGB-Foto: Drofitsch/Eibner

Herr Kiener, vor dem Turnier haben Sie gesagt, Sie wissen nicht so richtig, wo die Mannschaft steht. Erneut ganz vorne. Glückwunsch.
Nico Kiener: „Danke. Wir haben im Vorfeld viel mit den Schweizern zusammen gemacht und mit unseren Bundesligisten. Deshalb kannten wir die Leistungsstärke der anderen Landesverbände nicht. Wir haben jetzt ja auch nicht mehr die Möglichkeit, gegen Baden und Südbaden zu testen, weil wir zusammen auftreten. Wir haben die Vorrunde souverän überstanden und dann hat sich eine Mannschaft entwickelt, die wusste, dass sie auf dem Niveau mithalten kann. Das lief weniger über Einzelspielerinnen, sondern über die mannschaftliche Geschlossenheit. Am Ende haben wir das Turnier zu Recht gewonnen.“

Seit wann treten die baden-württembergischen

Verbände mit einer gemeinsamen Auswahl an?

„Das war jetzt das zweite Jahr.“

Wie ist die Zusammenarbeit organisiert?

„Im Februar und März spielen die Jungs und Mädels in ihren Landesverbänden noch die sogenannte DHB-Sichtung. Dort sichten wir die Spieler und Spielerinnen aus Württemberg, Baden und Südbaden auch für die baden-württembergische Auswahl. Ab dann bereiten sich die Spielerinnen auf dieses Turnier bei einigen mehrtägigen Maßnahmen vor.“

Die Federführung liegt bei Ihnen?

„Wir haben mit Pavol Streicher einen Leistungssport-Koordinator in Baden-Württemberg, der für die Jungs und die Mädels zuständig ist. Ich kümmere mich als Trainer in Baden-Württemberg um den weiblichen Bereich, mein Kollege Johannes Braun um den männlichen Bereich.“

Woran liegt es denn, dass Baden-Württemberg beständig an der Spitze ist? Auch das HVW-Team war zuletzt immer vorne dabei.
„In den letzten fünf Jahren waren wir fünfmal im Finale und haben es nur einmal verloren. Wir haben in Baden-Württemberg viele Mädchen, die Lust haben, Handball zu spielen. Dadurch haben wir die Breite. Dann machen wir in den drei Landesverbänden eine gute Arbeit. Und wir haben auch ein dichtes Feld an leistungsorientierten Vereinen in Baden-Württemberg. Dadurch haben die Spielerinnen jedes Wochenende einen ganz ordentlichen Wettkampf mit ihren Vereinsmannschaften in der B-Jugend- und C-Jugend-Oberliga. Das bringt sie natürlich weiter. Das ist sicher in anderen Landesverbänden nicht so. Gleichzeitig ist die Zusammenarbeit zwischen dem Verband und den Vereinen ein gutes Miteinander. Da haben wir eine Struktur aufgebaut, die zurzeit sehr erfolgreich funktioniert. Aber wir müssen natürlich immer wieder überlegen, wie wir den Schritt vor den anderen bleiben.“

Welchen Stellenwert hat dieses Turnier?

„Für die Mädchen hat es einen sehr hohen Stellenwert, weil es der Abschluss ihrer vierjährigen Förderung im Landesverband und Baden-Württemberg ist. Für uns zeigt so ein Erfolg, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das ist das Resultat der Arbeit, die wir das ganze Jahr über machen. Gleichzeitig hatte der frühere Länderpokal sicher noch einen höheren Stellenwert. Früher gab es vom Landessportverband Punkte für die Platzierung und für die Punkte gab es Geld für den HVW. Mittlerweile geht es eher um die individuelle Entwicklung der Spieler. Inzwischen wird man eher dann als Verband gefördert, wenn man viele Spieler in den DHB-Kader bringt. Nichtsdestotrotz ist so ein Erfolg auch für den Staff eine schöne Sache. Und die Mädels dürfen mal vor 700 Leuten Handball spielen. Auch das ist nicht selbstverständlich in dem Alter.“

Wie werden die Spielerinnen

jetzt weiter gefördert?

„Es gibt Spielerinnen, die in den Bundeskadern weiter gefördert werden. Die restliche Förderung wird jetzt über die Vereine stattfinden. Natürlich sind wir weiter Ansprechpartner für die Spielerinnen, wenn sie fragen haben.“

Bei dem Turnier wird ja auch vom DHB gesichtet.

Worauf wird besonders geachtet

in diesem Alter?

„Ein Thema ist natürlich die handballerische Fähigkeit, die Technik. Das zweite ist die Spielfähigkeit, in Abwehr und Angriff richtige Entscheidungen zu treffen. Und dann geht es schon darum, wer gut Abwehr spielt. Es war unser großer Trumpf bei diesem Turnier, dass wir eigentlich immer sehr wenige Gegentore bekommen haben. Ein nächster Punkt ist, welche Mentalität, Körpersprache und Kommunikationsfähigkeit haben die Spielerinnen in so einer Drucksituation. Und der letzte wichtige Punkt ist die Athletik. Was ist an Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer vorhanden und wie haben sie sich hier im vergangenen halben Jahr entwickelt. Es ist eine sehr umfängliche Sichtung.“

Wie weit ist der Weg für diese Talente

noch in den Spitzenhandball?

„Der Weg nach ganz oben ist noch sehr weit. Da müssen sie noch viel dazulernen. Aber in unserer Mannschaft war eine Spielerin, die jetzt schon dritte Liga spielt. Beim Turnier war sie aufgrund einer Blinddarmentzündung nicht dabei. Es werden im kommenden Jahr aus dieser Mannschaft sicher einige Spielerinnen in der dritten oder vierten Liga spielen. Um nachhaltige Bundesliga-Spielerinnen zu werden, müssen alle noch sehr viel tun.“

Ab wann dürfen die Mädchen

bei den Frauen spielen?

„Mit DHB-Kader-Status ab 15, ansonsten ab 16. Die eine oder andere ist schon oben dabei. Rebecca Rott haben wir zum Beispiel gar nicht spielen lassen. Sie war im vergangenen Jahr als jüngerer Jahrgang schon die beste Spielerin des Turniers. Sie hat in Metzingen ihre ersten Erstligaspiele gemacht. Da haben wir aus Gründen der Belastung gesagt, dass wir auf ihre Qualität verzichten und die Verantwortung den anderen Spielerinnen übertragen. Da sind wir auch stolz drauf, dass wir das gemacht haben. Wir haben sie entlastet und den anderen die Chance gegeben sich in den Blickpunkt zu spielen. Das war eine mutige Entscheidung, aber das hat funktioniert. Es geht auch um die Belastung der Spielerinnen. Sie spielt in Metzingen in der Jugend, trainiert mit dem Bundesligateam, ist in den DHB-Maßnahmen – da müssen wir als Verband dann sagen, dass wir sie dahin gebracht haben, wo wir sie haben wollen. Dann müssen die nächsten nachkommen und zeigen, was sie können.“

Welche Perspektive bietet

der Frauen-Handball den Talenten?

„Die Mädchen erleben Dinge, die ich nicht erlebe, wenn ich nicht im Leistungssport bin. Situationen mit Adrenalin, Freude, Teamgeist. Das sind Dinge, die sich auf jeden Fall lohnen. Da bin ich weit weg von monetären Dingen. Es geht erst einmal darum, dass sie Erlebnisse haben, die sie menschlich weiterbringen.“

Wie viele Talente

gehen verloren,

wenn es Richtung

Studium oder Beruf geht?

„Natürlich gehen Talente verloren. Das wichtigste Thema sind hier aber Verletzungen. Wir müssen schauen, dass wir nicht zu früh durch eine schwere Verletzung einen Karriereknick haben. Wer es will, bekommt es mit den Strukturen in Deutschland hin, Handball zu spielen und nebenbei eine Ausbildung oder ein Studium zu machen. Deswegen geht im Mädchenhandball keine Karriere kaputt. Auch bei Männern gibt es Bundesliga-Spieler, die nebenher studieren. Letztlich muss jeder wissen, ob er das will. Und die Entscheidung zu treffen, dass ich nicht ganz in die Spitze will, ist auch völlig in Ordnung. Es können ja nicht alle da oben ankommen. Wenn es ein paar schaffen, haben wir unser Ziel erreicht. Und die anderen haben ein Erlebnis gehabt, das sie nicht vergessen werden.“

Was leisten die Verbände bei der

Vereinbarkeit von Leistungssport

und Ausbildung an Unterstützung?

„Wir als Landesverband betreuen ja Schüler. Wir haben immer wenige, die nach dem Realschulabschluss schon eine Ausbildung angefangen haben. Wir müssen uns um das Thema Schule plus Leistungssport kümmern und schauen, dass sie ihre schulischen Leistungen hinkriegen. Bei vielen Spielern bekommen wir inzwischen Korridore hin, dass sie ein oder zweimal pro Woche vormittags während der Schulzeit trainieren können. Vor allem die Eliteschulen des Sports bieten da Möglichkeiten. Alles weitere ist dann beim DHB angesiedelt.“

Spielerinnen der SG H2Ku Herrenberg

sind zurzeit nicht dabei. Woran liegt das?

„Das kann ich nicht sagen. Wir haben traditionell immer Spielerinnen aus Vereinen, die jetzt schon jahrelang gute Jugendarbeit machen. Mal sind es mehr Spielerinnen aus Bietigheim, mal mehr aus Nellingen. Vereinzelt bringen aber auch kleinere Vereine immer wieder gute Spielerinnen heraus. Warum es in den letzten Jahren aus Herrenberg keine Spielerin geschafft hat, die Frage kann ich nicht beantworten. Dazu kenne ich die Struktur im Mädchenhandball in Herrenberg zu wenig.“

Themenwechsel. Was wird die

Männer-Nationalmannschaft bei der

Europameisterschaft erreichen?

„Sie hatten jetzt ein Spiel, das sie gegen eine super Mannschaft verloren haben. Die Spanier haben toll verteidigt und gespielt. Und sie hatten einen super Torwart. Wenn man schaut, was da für Spieler in der deutschen Mannschaft stehen, können sie in der Hauptrunde gegen jedes Team gewinnen. Sie haben noch alle Chancen, in dem Turnier so weit zu kommen, wie sie es sich vorstellen. Ich habe ein sehr gutes Gefühl.“

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Erstellt:
14. Januar 2020

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