Die „Kopfnuss von Nebringen“

Fußball: Bei einem F2-Jugendturnier in der Gäufeldener Hermann-Wolf-Halle geraten Betreuer derSG Jettingen und der Spvgg. Holzgerlingen aneinander. Körperliche Attacke löst Tränen bei Kindern aus.

Von Thomas Oberdorfer

Lesedauer: ca. 4min 22sec
Die Nachwuchsfußballer der F-Jugend sind bei den Hallenturnieren auf sich allein gestellt, kein Schiedsrichter leitet die Spiele. Umso wichtiger, dass die Betreuer von außen sich im Griff haben. GB-Foto Symbolbild (Archiv): Ulmer

Die Nachwuchsfußballer der F-Jugend sind bei den Hallenturnieren auf sich allein gestellt, kein Schiedsrichter leitet die Spiele. Umso wichtiger, dass die Betreuer von außen sich im Griff haben. GB-Foto Symbolbild (Archiv): Ulmer

Die Gewalt im Amateurfußball nimmt zu. Oftmals trifft es die Schiedsrichter, die verbal oder sogar körperlich attackiert werden. Die Anfeindungen gehen von Spielern aus, aber auch von Zuschauern, Betreuern oder Trainern. Im vorliegenden Fall, der sich am 14. Januar beim Hallenturnier der SG Gäufelden in der Nebringer Hermann-Wolf-Halle abgespielt hat, war es ein Trainer der F-Jugend (!), der für eine Eskalation sorgte, der Leidtragende war ebenfalls als Coach im Einsatz. Das letzte Spiel des Turniers der F2-Jugend zwischen der SG Jettingen und der Spvgg. Holzgerlingen war nahezu beendet, als der Holzgerlinger Coach seinem Jettinger Kollegen gegenübertrat und diesem einen Kopfstoß versetzte, mehrere Zeugen haben das beobachtet. Das Resultat war ein blau unterlaufenes Auge, zu heftigeren Verletzungen wie etwa einem Jochbeinbruch kam es nicht. Das ist nur dem Zufall geschuldet, denn bei einem Kopfstoß hat der Angreifer keine Kontrolle darüber, welche Folgen daraus resultieren. Die Partie wurde daraufhin abgebrochen.

Laut des Geschädigten äußerte sich der Holzgerlinger Coach, er war Trainer eines anderen Teams der Spvgg., das seine Einsätze schon absolviert hatte, während des Spiels aggressiv gegenüber den Jettinger Spielern. „Er hat unsere Spieler angeschrien, darauf habe ich reagiert“, sagt der Geschädigte, der einräumt, mit dem Holzgerlinger Coach einen verbalen Disput gehabt zu haben. „Ich hätte vielleicht versuchen sollen, ruhiger auf ihn einzureden, um zu deeskalieren.“ Beleidigt habe er niemanden. Die Polizei wurde zu dem Turnier gerufen. Die Beamten nahmen vor der Halle den Sachverhalt auf, dort haben sich die beiden Kontrahenten kurz die Hand gegeben. „Wir haben uns im Vorfeld darüber unterhalten, dass wir unseren Spielern das Grätschen möglichst komplett untersagen sollen. In diesem Spiel haben die Jettinger sehr oft gegrätscht. Einmal hat der Jettinger Trainer auch applaudiert“, sagt der Holzgerlinger Coach. „Ich habe zu dem Trainer herübergeschrien. Ich habe aber kein einziges Mal einen Spieler der Jettinger angeschrien. Das geht gar nicht, fremde Kinder anzuschreien. Das ist für mich ein No-Go.“ Er sei dann zu dem Jettinger Trainer gegangen, es habe eine Diskussion gegeben. „Ich habe ihn gefragt, ob er seine Mannschaft nicht im Griff hat und dass wir gesagt haben, das Grätschen zu verbieten. Er hat mich beleidigt, daraufhin gab es die Kurzschlussreaktion von mir. Wir müssen nicht darüber reden, dass das falsch war.“ Der Geschädigte hat derzeit keine Bestrebungen, zivilrechtliche Ansprüche wie beispielsweise Schmerzensgeld geltend zu machen oder strafrechtlich gegen den Angreifer vorzugehen. Im Einzelfall haben Gerichte einen Kopfstoß schon als gefährliche Körperverletzung eingestuft, die Mindeststrafe dafür beträgt sechs Monate Haft. Sehr wohl wird sich allerdings das Sportgericht des Württembergischen Fußballverbands (WFV) mit diesem Fall beschäftigen. Ute Nordmann, Mitglied der Abteilungsleitung der Spvgg. Holzgerlingen, hat sich am Sonntag nach dem Turnier telefonisch bei dem Geschädigten im Namen der Spvgg. Holzgerlingen entschuldigt. „Das war gut so und das gehört sich so. Ich will betonen, dass zwischen den Vereinen nichts steht“, sagt der Betreuer der SG Jettingen. Ebenso entschuldigte sich die Funktionärin bei Marco Weiß vom TSV Tailfingen, er gehört zur Jugendleitung der SG Gäufelden, er war in der Turnierleitung eingeteilt. Nordmann verfasste zudem eine schriftliche Entschuldigung (sie liegt der Redaktion vor). Der Holzgerlinger Trainer hat von sich aus die Konsequenzen seines Handelns gezogen: Er entschuldigte sich noch am Tag des Turniers bei den Eltern seiner Spieler für sein Fehlverhalten und trat zudem als Coach zurück. „Hätte er das nicht aus freien Stücken gemacht, hätten wir uns von ihm auf jeden Fall getrennt. Er ist kein Trainer mehr bei uns. Sein Verhalten ist ihm peinlich, er schämt sich so“, meint Ute Nordmann. Damit ist der Fall aber nicht ausgestanden, denn er wirkt bei einigen Kindern nach, die den tätlichen Angriff gesehen haben und darauf verstört reagierten. „Die Kinder waren entsetzt“, sagt Johannes Ormos vom TV Nebringen, der am Tag des Vorfalls zur Turnierleitung gehörte und wie Marco Weiß Teil der Jugendleitung der SG Gäufelden ist. Den Vorgang an sich habe er nicht gesehen, sagt Ormos. „Vom Regieraum aus hatten wir keinen so guten Blick.“ Einige der Jettinger Nachwuchskicker weinten, sie hatten wohl die Sorge, selbst angegriffen zu werden. „Wir haben direkt im nächsten Training mit den Kindern gesprochen und ihnen gesagt, dass sie auch künftig keine Angst bei einem Turnier haben müssen. Wir haben ihnen erklärt, dass das Verhalten des Holzgerlinger Trainers nicht in Ordnung war und er dafür bestraft wird. Wir haben ihnen aber auch gesagt, dass so ein Verhalten die absolute Ausnahme ist“, versuchte der Jettinger Coach zu beruhigen.

Das bestätigt auch Siegfried Lux, der seit 2020 Bezirksjugendleiter ist. Er ist über den vorliegenden Fall, die „Kopfnuss von Nebringen“, informiert. Seine Erfahrung ist, dass die weit überwiegende Zahl an Spielen oder Hallenturnieren im Jugendbereich friedlich ablaufen. Gleichwohl stelle er generell fest, dass die Corona-Pandemie Spuren hinterlassen habe bei den Spielern, aber auch den Eltern. „Mein Eindruck ist, dass es nach den fast zwei Jahren ohne Fußball etwas an Disziplin fehlt und dass die Stimmung aggressiver ist“, sagt der Böblinger. Unmittelbar auf die Vereine einwirken könne der Bezirk nicht, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. „Wir zeigen aber bei den Staffeltagen das Problem auf und appellieren an unsere Vereine, es zu thematisieren“, sagt Lux.

Das Turnier wurde im Rahmen der Fair- Play-Liga, sie wird bei den Bambini und in der F-Jugend veranstaltet, ohne Schiedsrichter abgehalten. Die jungen Kicker sind angehalten, Entscheidungen selbst zu treffen: gibt es Eckball, war es ein Foul oder ein Handspiel? Lux: „Der Trainer dient als Koordinator. Es gibt keine Wertung der Spiele und keine Tabelle. Das Ergebnis steht nicht im Vordergrund, es ist zweitrangig. Den Kindern soll der Spaß am Spiel vermittelt werden. Wir haben die Fair-Play-Liga richtig gut umgesetzt und sind Vorreiter. Wir machen damit sehr gute Erfahrungen.“ Entscheidend für den Erfolg dieser Art des Wettbewerbs ist auch, dass sich die Eltern zurückhalten mit aggressiven Äußerungen, sondern sich darauf konzentrieren, den Nachwuchs in positiver Form anzufeuern. Darüber hinaus bietet der WFV ein Kindertrainer-Zertifikat an. Mit diesem Schulungsangebot wird allen im Kinderfußball Tätigen die Möglichkeit gegeben, ihr Wissen zu vertiefen. Das Zertifikat beinhaltet Tipps für den Trainingsalltag und für den Umgang mit Kindern. Wesentlich ist, dass sich ein Trainer zurücknimmt und nicht durch aggressives Verhalten außerhalb des Spielfeldes auffällt. Das war allerdings am 14. Januar in Nebringen nicht der Fall.

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Erstellt:
28. Januar 2023

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