„Die Spirale muss sich zurückdrehen“

Achim Gack ist seit dem 1. Januar kommissarischer Obmann der Schiedsrichtergruppe Böblingen. Der 53 Jahre alte Herrenberger hat das Amt von Kurt-Heinz Kuhbier übernommen, der zum Ende des vergangenen Jahres zurücktrat. Im Interview spricht Gack über seine Pläne, seine Ziele und die Gewalt, die zunehmend auf den Fußballplätzen herrscht.

Von Thomas Oberdorfer

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Achim Gack ist seit Jahresbeginn Obmann der SchiedsrichtergruppeBöblingenGB-Foto: Holom

Achim Gack ist seit Jahresbeginn Obmann der Schiedsrichtergruppe Böblingen GB-Foto: Holom

Werden Sie als Schiedsrichterobmann

weiter Spiele pfeifen?

„Ich werde meinen Aufwand wohl etwas reduzieren, ich werde aber weiterhin pfeifen. Zumeist in der Kreisliga, als Gespannsführer aber auch in der Kreisliga Nordbaden, das entspricht unserer Bezirksliga. Ich pfeife sehr gerne in der Jugend. Mir ist es wichtig, weiterhin auf dem Sportplatz zu stehen. Nur dadurch kann ich auch die Sorgen und Nöte meiner Kollegen nachvollziehen und die Schiriluft schnuppern.“

Was reizt Sie am Posten des

Schiedsrichterobmanns?

„Ich verspüre in mir nach wie vor eine große Leidenschaft für den Fußballsport. Es ist schön, auch in höherem Alter noch an diesem Sport teilhaben zu können. Ich bin ein entscheidungsfreudiger Mensch. Ich habe sehr viel von der Schiedsrichtergruppe Böblingen profitiert, jetzt will ich etwas zurückgeben. Ich konnte jahrelang hochklassig bis zur Verbandsliga pfeifen, damals war das noch die vierthöchste Klasse. Ich habe viele anspruchsvolle Partien geleitet wie etwa die Derbys TSG Backnang gegen Viktoria Backnang oder Ravensburg gegen Wangen vor einigen Tausend Zuschauern, in denen es stressige Situationen gab. Mit diesem Stress und diesen Situationen umzugehen, hat mich persönlich weitergebracht. Nicht zu vergessen ist natürlich die Kameradschaft der Schiedsrichter untereinander. Das alles möchte ich an entscheidender Stelle weitergeben.“

Sie sind kommissarischer und nicht

gewählter Obmann. Sehen Sie darin ein

Problem in der Akzeptanz durch Ihre Kollegen?

„Nein, überhaupt nicht. Mein Vorgänger Kurt-Heinz Kuhbier hat sein Amt bewusst zum Ende des vergangenen Jahres niedergelegt. Ich kann nun gut ein Jahr lang in diesen Posten hineinwachsen, ehe Anfang 2021 die turnusgemäßen Wahlen stattfinden. Dadurch habe ich ausreichend Zeit, dieses Ehrenamt neben meinen privaten, beruflichen und weiteren ehrenamtlichen Verpflichtungen in meinen Alltag einzutakten. Es ist ganz klar, dass ich nicht die Zeit in das Amt stecken kann, wie es Kurt-Heinz Kuhbier gemacht hat. Das will ich aber auch gar nicht. Unser Ausschuss besteht aus sieben Mitgliedern, jeder hat sein Aufgabengebiet. In Christian Runge habe ich einen Stellvertreter allererster Güte. Jeder hat in seinem Bereich das Sagen, aber auch die entsprechende Verantwortung. Ich habe großes Vertrauen in meine Mitstreiter. Am 22. Januar sitzen wir mit Kurt-Heinz Kuhbier und seinem damaligen Stellvertreter Thomas Schnaufer zusammen. Beide haben nach ihren Rücktritten ihre Unterstützung signalisiert, wofür ich sehr dankbar bin.“

 

Wie ist denn die Schiedsrichtergruppe

aus Ihrer Warte aufgestellt?

 „Wir haben so viele Mitglieder wie nie zuvor, wobei wir leider aus unterschiedlichen Gründen zu Beginn des Jahres schon drei Abmeldungen zu verzeichnen haben. Aus meiner Sicht haben wir aber zu wenige Schiedsrichter im Leistungskader. Wir haben mit Tobias Reichel einen Schiedsrichter in der Zweiten Bundesliga, das ist top. Danach aber klafft eine große Lücke bis hin zur Landesliga. Uns fehlt der Unterbau für die höher- und hochklassigen Ligen. Für die Anzahl an Schiedsrichtern haben wir zu wenig Gespanne in höheren Spielklassen. Die Altersstruktur ist problematisch: Wir haben etwa 50 Prozent Schiedsrichter, die zwischen 40 und 70 Jahre alt sind und etwa 30 Prozent, die unter 25 sind. Im Bereich von 25 bis 40 Jahren haben wir zu wenige Unparteiische.“

Welche Themen stehen bei Ihnen

weit oben in der Agenda?

„Wir müssen die Nachwuchs-Förderung intensivieren und wir müssen versuchen, die Schiedsrichter bei der Stange zu halten. Wir müssen es schaffen, den Nachwuchs dauerhaft für den Job des Schiedsrichters zu begeistern. Dazu könnten wir hochkarätige Referenten einladen, die aus ihrem Leben als Unparteiische berichten. Ich kann mir vorstellen, dass sich namhafte Schiedsrichter, aktive oder passive, regelmäßig mit dem Nachwuchs treffen und aus dem Nähkästchen plaudern. Wir müssen den Nachwuchs dafür sensibilisieren, dass es sich lohnt, am Ball zu bleiben, dass der Job als Schiedsrichter eine sehr gute Charakterschulung ist. Wir müssen verstärkt auf die Vereine zugehen und die Vereine einladen, wir müssen die Kommunikation nach außen von unserer Seite aus verbessern und intensivieren. Über diese Punkte haben wir uns bei einer Klausurtagung mit den Ausschussmitgliedern unterhalten, die wir im Dezember abgehalten haben.“

Angesichts dessen, was derzeit verstärkt auf

den Fußballplätzen passiert, ist es doch

verständlich, dass junge Schiedsrichter ihre

Pfeife verstummen lassen.

Warum sollten Sie sich für einen geringen

finanziellen Ausgleich beleidigen oder gar

körperlich attackieren lassen?

„Niemand sollte sich beleidigen oder attackieren lassen, nicht als Schiedsrichter und auch sonst nicht. Ich will nichts beschönigen, leider nehmen die verbalen und teilweise auch körperlichen Attacken insgesamt zu. Ich verstehe es, wenn junge Menschen sagen, dass sie sich das nicht antun wollen. Unsere Aufgabe als Schiedsrichtergruppe ist es, den Nachwuchs zu stärken, ihn über eine gewisse Schwelle zu bringen. Wenn sie ein gewisses Maß an Erfahrung gesammelt haben, können sie mit solchen Situationen besser umgehen. Mein Sohn Niklas hat einige Scheißspiele nacheinander erlebt, erhielt vom Spielfeldrand aus sogar Morddrohungen. Er hat inzwischen aufgehört. Das finde ich schade und das tat mir sehr weh, ich akzeptiere aber seine Entscheidung. Ich hoffe allerdings, dass er irgendwann weitermacht und wieder einsteigt.“

Ihr anderer Sohn Julian pfeift weiterhin.

Haben Sie manchmal Angst um ihn?

„Ja, eindeutig ja, da bin ich ganz ehrlich. Julian hat auch schon Theater auf dem Sportplatz gehabt, musste über Platzordner bei einem Einsatz als Assistent während des Spiels geschützt werden. Ein Spielervater hat ihm mit einem Kugelschreiber direkt nach Abpfiff gegen die Brust gestoßen, Julian hatte dadurch einen blauen Fleck. Er hat sich auch schon gefragt, warum er sich das teilweise herrschende Theater antut.“

Was können Sie als Schiedsrichtergruppe

denn machen, damit sich die Gewaltspirale auf

dem Fußballplatz nicht weiter nach oben dreht?

„Eine Idee ist, vor einer Saison die Vereine zu Terminen einzuladen, auf denen wir erklären, wie die Zusammenarbeit optimalerweise laufen soll. Wir fordern, dass einem Unparteiischen wieder mehr Wertschätzung entgegengebracht wird. Diese war früher deutlich höher. Seien wir doch ehrlich, der Schiedsrichter ist in der Regel der, der am wenigsten Fehler in einem Fußballspiel macht. Wir müssen mehr mit den Vereinen kommunizieren. Wir müssen die Vereine dafür sensibilisieren, dass sie dafür Verantwortung tragen, welche Atmosphäre außerhalb des Platzes herrscht. Die Funktionäre müssen sich zurückhalten, sie müssen aber auch konsequent gegen Zuschauer vorgehen, die permanent Stimmung machen. Ich meine hier ausdrücklich nicht Emotionen, das gehört dazu. Es geht um Beschimpfungen, Beleidigungen. Ich erwarte mehr Akzeptanz von den Spielern, den Zuschauern, den Trainern und den Funktionären für die Schiedsrichter. Wir sind aus meiner Sicht die mutigsten Menschen am Samstag oder Sonntag auf dem Sportplatz. Wir stellen uns dem Problem, dass wir auch daneben liegen und Fehler machen werden, liegt natürlich auch drin. Wir stellen uns schwierigen Situationen.“

Ist es denn nicht verständlich,

dass sich Spieler und auch Zuschauer ärgern,

wenn Ihre Mannschaft aufgrund einer

Fehlentscheidung verliert?

„Natürlich ist das verständlich. Emotionen und Ärger sollen auch gar nicht unterdrückt werden. Es geht aber um das richtige Maß. Die Schwelle ist überschritten, wenn es zu persönlichen Angriffen kommt, ob verbal oder körperlich. Das gilt für Angriffe dieser Art auf dem Sportplatz, aber auch in den sozialen Medien. Es ist unglaublich, was dort teilweise über die Schiedsrichter geschrieben wird oder wie sich Spieler vor einem Duell gegenseitig anstacheln. Ich appelliere an die Moral aller Beteiligten. Eines kann ich versichern, ein Schiedsrichter ärgert sich in der Regel selbst am meisten über eine Fehlentscheidung.“

Ende Oktober traten und schlugen Spieler

und Anhänger von Isa Boletini nach dem

Spiel nach dem Unparteiischen. Einige

Akteure wurden lange gesperrt, teilweise

18 Monate. Sind diese massiven Strafen

für Sie ein Mittel, um die Gewalt in

den Griff zu bekommen?

„Die Hemmschwelle ist immer mehr gesunken. Wir müssen aufpassen, dass sich das Rad nicht noch weiterdreht. Diese harten Strafen sind völlig richtig. Der Verband muss ein ganz klares Signal setzen, dass es so nicht weitergeht. Bei Attacken dieser Art muss es harte persönliche Konsequenzen geben für den Spieler, und wenn notwendig auch für den Verein. Ich prophezeie, dass wir in fünf bis sieben Jahren auf den Fußballplätzen einen Sicherheitsdienst oder eine Polizeistreife benötigen, wenn es so weitergeht. Wenn der Fußball weiterbestehen soll, dann muss sich die Spirale zurückdrehen.“

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Erstellt:
17. Januar 2020

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