„Dieser Schwebezustand ist ein ungutes Gefühl“

Seit dem 29. Oktober ruht der Spielbetrieb im Amateurfußball. Gestern hat der Württembergische Fußballverband (WFV) als Reaktion auf die jüngste Bund-Länder-Konferenz den Vereinen Vorschläge unterbreitet, wie die Runde doch noch fortgesetzt und abgeschlossen werden kann. Der „Gäubote“ hat sich bei den Vereinen umgehört.

Von Berkan Cakir, Thomas Oberdorfer und Edip Zvizdiç

Lesedauer: ca. 6min 42sec
Verschneiter Platz in Entringen: Wann der Fußball aus der Winterpause kommt, steht nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie in den Sternen GB-Foto: Schmidt

Verschneiter Platz in Entringen: Wann der Fußball aus der Winterpause kommt, steht nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie in den Sternen GB-Foto: Schmidt

Spätestens ab dem 8./9. Mai soll wieder gespielt werden, wenn die Runde als einfache Runde bis Ende Juni noch gespielt werden kann. Vom Tisch ist auch die Ausspielung einer Auf- und Abstiegsrunde („Play-off“) nach dem Absolvieren einer Rundenhälfte (siehe auch nebenstehenden Artikel).

Hanjo Kemmler, Trainer des Landesligisten FC Gärtringen würde sich erst mal freuen, wenn seine Jungs „endlich mal wieder gegen den Ball treten könnten“. Für ihn ist nachvollziehbar, dass die Auf- und Abstiegsrunde nun kein Thema mehr sei. Kemmler (GB-Foto: gb): „Ein Abbruch der Runde wäre natürlich für die Teams extrem bitter, die um die Meisterschaft spielen. Die Teams, die gegen den Abstieg spielen, würden sich darüber vielleicht freuen. Es wäre natürlich nicht optimal, wenn die Vorbereitungszeit nur drei Wochen betragen würde. Drei Wochen reichen nicht aus, um eine Mannschaft 100-prozentig vorzubereiten, dementsprechend würden die ersten Spiele dann auch aussehen. Die Spieler müssen vor Beginn des Mannschaftstrainings, sofern man es abschätzen kann, einige Wochen in den Wald gehen und regelmäßig laufen. Diese Hausaufgaben müssen erledigt werden, damit man gleich richtig einsteigen kann.“

Auch für Giuseppe Vella, Trainer des Landesligisten GSV Maichingen, ist es eine „sehr vernünftige Entscheidung, dass die Auf- und Abstiegsrunde vom Tisch ist. Das passt zu meiner Sicht der Dinge, die ich schon lange habe: In dieser Situation sollte man so wenig Spiele durchführen, wie nötig sind, um zu einer Wertung zu kommen. Das ist erreicht, wenn man die Hinrunde absolviert hat.“ Vella bringt noch einen anderen Gedanken ins Spiel: „Es ist auch sinnvoll, die Runde abzubrechen, wenn bis zum 10. Mai immer noch nicht gespielt werden kann. Danach käme man wieder in enormen zeitlichen Druck. Sollte der verschärfte Abstieg bleiben, wäre das extrem hart. Ich hoffe, dass wir zumindest vier Wochen Zeit bekommen für die Vorbereitung. Wenn wir nach Ostern wieder auf den Platz dürften, wäre das möglich.“

Roberto Klug, Trainer des Verbandsligisten VfL Sindelfingen, gibt sich diplomatisch: „Die Überlegungen des Verbands“ sind – ganz neutral gesprochen – spannend. Für uns bedeutet das noch sieben Endspiele, wenn die Runde wieder aufgenommen wird. Das ist für alle Beteiligten, die Spieler, die Trainer und die Funktionäre eine große Herausforderung. Ich verstehe aber auch den Verband, dass er die Saison zu einer Wertung bringen will. Das Sinnvollste wäre aus meiner Sicht, wenn die Runde abgebrochen worden wäre. Nach einer vielleicht sechsmonatigen Pause wieder anzufangen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Eine abgeschlagene Mannschaft wird in die restlichen Spiele anders gehen als es zu Beginn der Saison der Fall war. Die Ungewissheit, wie es letztlich weitergeht, dieser Schwebezustand ist ein ungutes Gefühl. Andere Verbände haben Entscheidungen getroffen, die Vereine haben dadurch Planungssicherheit.“

Auch für Bernd Gluiber, Coach des Bezirksligisten SV Rohrau ist der Verzicht auf eine Auf- und Abstiegsrunde sinnvoll. „Ich habe ein ganz anderes Thema“, meint Gluiber stattdessen: „Wenn spätestens am Wochenende 8./9. Mai wieder gespielt werden soll, muss das Training spätestens nach Ostern wieder beginnen, besser wäre es, wenn es Anfang April beginnen könnte. Und ich rede vom Mannschaftstraining, nicht vom Training in Kleingruppen, wie es nach dem ersten Lockdown im Frühjahr zunächst der Fall war. Die Pause dauert inzwischen so viele Monate. Die Spieler kommen zurück, als ob sie eine lange Verletzung gehabt hätten. Es dauert viele Wochen, um sie wieder an ein Wettkampf-Niveau zu führen. Nur zwei oder drei Wochen dafür einzuplanen, wie es dem WFV vorschwebt, ist aus meiner Sicht extrem fahrlässig. Das ginge voll zulasten der Gesundheit der Spieler, das führt zu vielen und auch zu schweren Verletzungen.“ Der Rohrauer Trainer hält das für unverantwortlich und hat eine klare Forderung: „Ich denke, der WFV will die Saison auf jeden Fall so weit durchziehen, damit sie gewertet werden kann. Ich halte einen Abbruch für richtig, wenn eine ordentliche Vorbereitung nicht gewährleistet ist.“

In die gleiche Kerbe schlägt auch Giuseppe Costanza, Sportlicher Leiter des Bezirksligisten VfL Herrenberg: „Das Optimale wäre aus meiner Sicht, wenn die Runde abgebrochen werden würde. Mir geht es vor allem um die Gesundheit der Spieler. Wenn nach einer monatelangen Pause letztlich vielleicht nur drei Wochen Vorbereitung übrig bleiben, dann sind Verletzungen garantiert. Wir haben im letzten Sommer die Erfahrung gemacht: Wir haben nach einer kurzen Vorbereitung Pokalspiele nachholen müssen und hatten dann sieben verletzte Spieler. Es gibt genug Spieler, die schichten. Die könnten gar nicht alle Einheiten trainieren, diese Spieler könnte man guten Gewissens nicht einsetzen. Was mir völlig fehlt, ist eine Planungssicherheit. Wir wissen jetzt zwar, bis zu welchem Zeitpunkt spätestens die Runde wieder aufgenommen werden muss, damit zumindest die Hinrunde noch gespielt werden kann. Wir wissen aber überhaupt nicht, wann wir denn wieder mit der gesamten Mannschaft auf den Platz dürfen.“

Die jüngsten Verlautbarungen des WFV hat man beim SV Oberjesingen mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Denn dem Tabellenführer der Kreisliga A2 droht bei einem etwaigen Saisonabbruch ein ähnliches Szenario wie im Vorjahr. Vor einem Jahr musste der damalige Aufsteiger aus der B4 mit nur einem Zähler Rückstand dem TSV Dagersheim den Vortritt lassen. In der aktuell unterbrochenen Saison scheint dem SVO aber nicht einmal der Platz an der Sonne helfen zu können, da bei Abbruch die komplette Runde annulliert werden würde. „Das würde uns allen das Herz brechen“, gibt Julian Weidinger, gemeinsam mit Daniel Wahnsiedler und Andreas Gusenbauer Trainer der Oberjesinger, zu. „Sollte uns erneut der Aufstieg verwehrt bleiben, könnte sich das negativ auf die Motivation in der Mannschaft auswirken.“ Die Flinte will Weidinger aber nicht voreilig ins Korn werfen. „Wir alle sind sehr positiv eingestellt und glauben, dass es spätestens Anfang Mai weitergehen und zumindest die Hinrunde zu Ende gespielt wird.“ Sollte sich Weidingers Wunsch tatsächlich erfüllen, würde seine Mannschaft mit fünf Zählern Vorsprung in die verbleibenden sechs Spiele gehen. Abgesehen vom sportlichen Erfolg appelliert der Oberjesinger Coach an die Entscheidungsträger, den Wert des Freizeitsports nicht zu niedrig anzusetzen. „Die Interaktion fehlt uns allen. Wir sind soziale Wesen und wir wollen gemeinsam etwas erleben. Das geht nirgends besser als im Sport. Siege und Niederlagen sind dabei zweitrangig. Aber wir wollen dazu beitragen, die Energie der Sportler in die richtigen Bahnen zu lenken.“

Eine klare Meinung hat Tobias Lindner, Coach des ambitionierten A-Liga-Aufsteigers Spvgg. Aidlingen: „Aus meiner Sicht sollte die Runde abgebrochen werden. Wenn vielleicht ab Anfang April wieder trainiert werden kann, hätten die Spieler fünf Monate Pause gehabt. Dann wieder hochfahren und in die Punkterunde einsteigen, funktioniert nicht. Die fußballspezifische Belastung kann man im Wald nicht trainieren, die schnellen Bewegungen, das Timing. Man darf nicht vergessen, dass wir im Amateurbereich sind. Die Spieler müssen arbeiten oder studieren, sie können nicht auf die Massagebank liegen oder in die Eistonne steigen. Wenn die Runde fortgesetzt wird, dann gibt es nur noch Endspiele, entsprechend wird es zur Sache gehen, da gibt es ein Hauen und Stechen auf dem Platz.“

Völlig entspannt hat Mathias Steinhübel die Neuigkeiten seitens des Verbandes aufgenommen. Und das, obwohl sich der TSV Hildrizhausen mittendrin im Kampf um den Klassenerhalt in der Kreisliga A2 befindet. „Ganz ehrlich, interessiert es in diesen Zeiten überhaupt, ob ein Team in der Kreisliga A oder doch in der Kreisliga B spielt?“, fragt der Hausemer Abteilungsleiter provokant. „Wenn uns das vergangene Jahr etwas gezeigt hat, dann dass es keine Planungssicherheit gibt.“ Sollte es alsbald weitergehen und schließlich auch noch um Punkte gespielt werden, werde der TSV sportlich nichts unversucht lassen, um die Klasse zu halten. „Sollte das nicht klappen, wäre das aber auch kein Beinbruch“, betont Steinhübel. Eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs würde aber auch wieder eine Menge unangenehmer Begleiterscheinungen mit sich bringen. „Wenn ich nur daran denke, wie viel Kraft wir in das Umsetzen der Hygienekonzepte gelegt haben, dann graut es mir davor, dass der Ball wieder rollt. Derzeit hätte ich gar keinen Bock darauf.“ Sorgen macht sich der Hausemer Fußballboss bezüglich der Perspektivlosigkeit, die sich vor allem in der jüngeren Generation breitmache. „Die scheibchenweise Verlängerung des Lockdowns zerrt an den Nerven. Die Lust geht verloren, dem müssen wir entgegenwirken. Jetzt haben wir zumindest mal den 7. März als Ziel vor Augen. Sollte dann der Inzidenzwert auf unter 35 fallen, stünde einer Fortführung des Ligabetriebs nichts mehr im Wege.“

Dass zumindest die Vorrunde noch zu Ende gespielt werden soll, hält der Trainer des TV Gültstein für eine angemessene Lösung. „So hat jeder gegen jeden gespielt. Alles andere kriegt man zeitlich nicht hin“, sagt Holger Schulz. Der TVG müsste in dem Fall dann gegen vermeintlich leichtere Gegner ran, die weiter unten in der Tabelle der Kreisliga B4 stehen. Für Trainer Schulz stehen die Chancen da zumindest für einen Relegationsplatz nicht schlecht. „Zu Platz eins sind es zwar auch nur fünf Punkte, aber dann müssten erst einmal die Mannschaften vor uns regelmäßig patzen. An sich ist die Konstellation für uns aber nicht schlecht“, sagt er. Das hänge aber auch ganz davon ab, wie fit seine Mannschaft in die womöglich sehr kurze Vorbereitungsphase von drei, vielleicht vier Wochen gehe. „Wenn wir eine gewisse Grundlage haben, können wir das Spielerische und die Taktik darauf aufbauen, dazu noch ein oder zwei Testspiele. Ich bin da positiv gestimmt. Die Jungs halten sich fit und wollen durchstarten.“ Sollte die Saison hingegen doch abgebrochen werden, weil das Infektionsgeschehen sich bis Anfang Mai nicht beruhigt, müsse man das akzeptieren. „Klar, wir hätten die Chancen auf die Relegation. Aber wenn es nicht klappt, geht die Welt für uns nicht unter“, gibt sich Schulz gelassen.

„Für uns würden die Karten gut stehen, wenn die Vorrunde zu Ende gespielt werden sollte“, sagt Thomas Schunn, der nach dem Abgang von Patrick Gunesch bei den Sportfreunden Kayh allein auf der Kommandobrücke steht (wir berichteten). Seine Kayher Mannschaft, die momentan auf dem zweiten Platz steht, hat nur zwei Punkte Rückstand auf den TSV Dagersheim II. Gegen den Spitzenreiter würde der SF Kayh noch spielen, und auch gegen den direkten Verfolger SV Bondorf. „Wir haben es in unserer Hand. Das ist das Geile daran. Es wäre überragend, wenn uns die Meisterschaft gelingt“, brennt Schunn auf eine Rundenfortsetzung. Sollte die Saison hingegen abgebrochen werden, wäre es für Kayh ein weiterer knapp verpasster Aufstieg, um den das Team nun seit mehreren Spielzeiten kämpft. „Das wäre bitter, aber da braucht man nicht zu diskutieren. Die Gesundheit aller steht über allem.“ Wie sein Trainerkollege Holger Schulz hält Schunn die Variante, die Vorrunde zu Ende zu spielen, aber für die verträglichste Lösung für alle Mannschaften. Problematisch sieht er hingegen die recht kurze Vorbereitungszeit. „Laufen und Joggen ist dann halt doch etwas anderes als Fußballspielen“, sagt er. Das Ballgefühl sei in den letzten Wochen und Monaten durchaus verloren gegangen.

Holger Schulz

Holger Schulz

Hanjo Kemmler

Hanjo Kemmler

M. Steinhübel

M. Steinhübel

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Erstellt:
12. Februar 2021

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