Erinnerungen an Hopfenernte und Fußball-Erfolge

So war es früher: Man sammelte sich vor der Leinwand, um die Bilder zu sehen vom letzten Jahr, vom letzten Urlaub, letzten Fest. Der familiäre Dia- oder Filmabend ist aus der Mode gekommen, Gültstein entdeckt ihn aber wieder. Und die Bilder, die da flimmern, sind nicht nur von gestern – sie führen ein halbes Jahrhundert zurück.

Von Thomas Morawitzky

Lesedauer: ca. 3min 18sec
Robert Binder, Ernst Unsöld und Rolf Hahn (von links) treffen Vorbereitungen für den Filmabend GB-Foto: Bäuerle

Robert Binder, Ernst Unsöld und Rolf Hahn (von links) treffen Vorbereitungen für den Filmabend GB-Foto: Bäuerle

Die damaligen Mitwirkenden sehen, wie ihre Erinnerungen Gestalt annehmen, treffen Freunde, Bekannte, Nachbarn und Verwandte wieder, die vor Jahren vielleicht schon verstarben, sehen den Ort wieder so, wie er in ihrer Kindheit war. Ernst Unsöld heißt der Gültsteiner, der den großen Teil dieser Aufnahmen machte, auf Doppel-8 filmte, einem Format, das heute vergessen ist. Seit 1932 existierten Kameras für Doppel-8, transportierten einen doppelten Filmstreifen, der in zwei Gängen belichtet und anschließend aufgeschnitten wurde, so dass zwei gleich lange Streifen aneinandergeklebt zu einem längeren Film werden konnten. Erst nach 1965 wurde Doppel-8 von Super-8 abgelöst, dem Format aller Hobbyfilmer der 1970er Jahre.

Ernst Unsöld war 25 Jahre alt, als er seine Doppel-8-Kamera bekam und auf das Gültsteiner Gemeindeleben hielt. Franz Scheuring, ein anderer Gültsteiner, filmte 1969, als der Ort, damals noch selbstständig, sein Jubiläum feierte.

Scheurings Filmmaterial ergänzte am Sonntagabend jenes von Ernst Unsöld. Fünf Filme waren zu sehen im großen Saal des Gültsteiner Erholungsheimes: Unsölds Blick auf die große Begegnung mit seiner französischen Partnergemeinde Amplepuis im Jahr 1971, Scheurings Eindrücke von der Jubiläumsfeier 1969, das Jubiläum des Gültsteiner Liederkranzes 1966, Aufnahmen, die Unsöld zwischen 1962 und 1964 vom Gültsteiner Vereinsleben anfertigte, Aufnahmen, in denen er den Alltag vor allem der Gültsteiner Landwirte über denselben Zeitraum hin begleitete. Alle Filme wurden aus einem größeren Materialumfang zusammengestellt und besitzen eine Laufzeit zwischen etwa zehn und 20 Minuten.

Ernst Unsöld grub seine Filmerinnerungen aus anlässlich des aktuellen Gültsteiner Jubiläumsjahres, ließ sie auffrischen, transferieren. Einmal bereits waren seine Filme zu sehen, vor wenigen Wochen im Gültsteiner Feuerwehrhaus, das dem Ansturm der interessierten Bürger nicht standhielt: Viele von ihnen mussten heimgehen, ohne einen Film gesehen zu haben. Der zweite Vorführungstermin, nun im größeren Saal, ist ebenfalls sehr gut besucht. Rolf Hahn, ehemals Gültsteiner Ortschaftsrat und engagiert im Vorbereitungsteam des Gültsteiner Jubiläums, moderiert – durch den vollen Saal geht ein Raunen, wieder und wieder, während die Bilder vorüberziehen. Und sehr interessant ist es, zu beobachten, wann genau das Gültsteiner Publikum Luft holt während dieser Zeitreise, wann der Lärmpegel plötzlich aufwärts springt, wann ein Seufzen, eine Heiterkeit die Reihen vereint. Vielleicht, als die Stimme auf der Tonspur des Films sagt: „Zu dieser Zeit hatte der TV Gültstein große Erfolge im Fußball. Heute kann man davon nur noch träumen.“

Die allergrößte Unruhe und Begeisterung brechen im Saal allerdings aus, als die Gültsteiner Wehr der 1960er Jahre ihr neues Löschfahrzeug aus der Garage holt: „Das Magazin war damals im alten Rathaus.“ Ganz Gültstein macht: „Ahh!“ und „Ohh!“ Übertroffen wird das nur noch, als die Wehr eine große Leiter mit Holzrädern anlässlich einer Übung durch einen Straßengraben bugsiert. Und als ein Landwirt samt Schlepper über ein Gültsteiner Feld springt. Als Männer, die dies überlebten, in luftigen Höhen weit jenseits jeder Unfallverhütungsvorschrift hämmern. Als andere bei der Hopfenernte hoch oben herumturnen: „Das ist eine Sache, die auch Mut erfordert!“ So der Kommentar.

„Es ist immer wieder schön, wenn man solche Sachen sieht, die man miterlebt hat“, sagt Helmut Krauß, der am Tag vor der Filmaufführung im Erholungsheim seinen 78. Geburtstag feierte. Er selbst war Mitglied des Gültsteiner Turnvereins, erinnert sich noch daran, wie der Verein in eigener Kraft einen neuen Lauf für die Ammer grub, um sie am Gelände vorbeizuleiten, auf dem die TV-Halle entstehen sollte; er erinnert sich auch an das alte Feuerwehrauto, an viele Gesichter: „Meine Schulkameraden, die waren im Musikverein, im Liederkranz oder bei der Feuerwehr“, sagt er.

Rudi Jung derweil weiß, dass seine Frau beim großen Festumzug 1966 dabei war: „Sie war acht Jahre alt damals.“ Unzählige andere alte Bekannte, sagt er weiter, habe er wiedererkannt in den Filmbildern: „Am besten waren die Umzüge!“ Doch halt: Noch besser vielleicht war der Zeltaufbau beim Jubiläumsfest, ganz gegen alle Sicherheitsvorschrift: „So etwas wäre heute nicht mehr möglich!“ Nicht mehr möglich, dies lässt Rolf Hahn die Gültsteiner wissen, ist es heute auch, Filmmaterial wie jenes von Ernst Unsöld und Franz Scheuring zu kopieren und zu verteilen – der Datenschutz, das Recht am eigenen Bild, verhindern es; zu viele Gesichter sind in den Filmen zu sehen. Im Archiv der Stadt Herrenberg jedoch werden Kopien der Filme lagern – und wen immer die Lust auf eine Reise in die Gültsteiner Vergangenheit angeht, der kann sie künftig mithilfe des Archives unternehmen.

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Erstellt:
26. November 2019

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