„Für uns ist das wie ein Arbeitsverbot“

In bester Familientradition verdienen Angelika Scheffel und Ernst Neigert ihren Lebensunterhalt seit vielen Jahren mit der Schaustellerei. Schon vor Corona waren die Zeiten für sie nicht rosig, in der Pandemie droht ihre Existenzgrundlage aber komplett wegzubrechen. Im Rahmen der „Gäubote“-Weihnachtsaktion „Hoffnung in der Krise“ berichten die beiden Mötzinger, wie schwer es ist, aktuell über die Runden zu kommen.

Von Jutta Krause

Lesedauer: ca. 3min 17sec
Weil es keine Weihnachtsmärkte und andere Winterevents gibt, kommt die Schaustellerei zum Erliegen – nicht nur zum Bedauern von Kindern, die gerne Karussell fahren GB-Foto: Irina Schmidt/Stock-adobe

Weil es keine Weihnachtsmärkte und andere Winterevents gibt, kommt die Schaustellerei zum Erliegen – nicht nur zum Bedauern von Kindern, die gerne Karussell fahren GB-Foto: Irina Schmidt/Stock-adobe

Die Karussells sind eingepackt und warten auf bessere Zeiten. Auch Eis, Zuckerwatte und gebrannte Mandeln finden derzeit keine Abnehmer, schließlich gibt es weder Märkte noch Feste. Schausteller wie Angelika Scheffel und Ernst Neigert hat die Corona-Krise hart getroffen und gewissermaßen kaltgestellt. Das teilen sie zwar mit etlichen anderen Berufsgruppen. Doch während nach dem Lockdown Lockerungen in vielen Bereichen zumindest kurzfristig Hoffnung aufkommen ließen, gab es für die Jahrmarktbeschicker in diesem Jahr gar kein Geschäft. „Bei uns ging heuer gar nichts, auch im Sommer nicht. Alles wurde abgesagt“, erzählt Angelika Scheffel und Frust schwingt in ihrer Stimme mit. „Wir haben uns auf Weihnachten gefreut und darauf gehofft, aber jetzt finden keine Weihnachtsmärkte statt und unser Weihnachtsgeschäft bricht auch weg.“

Das Jahr auf Festen
und Jahrmärkten

Bereits ihre Großeltern und Urgroßeltern waren als Schausteller mit Karussells und Buden auf Festen und Jahrmärkten vertreten und die beiden Mötzinger können sich keinen anderen Beruf vorstellen. Schon vor Corona waren die Zeiten für sie nicht rosig, in der Pandemie droht ihre Existenzgrundlage komplett wegzubrechen. Und Besserung ist bislang nicht in Sicht. Denn selbst wenn Lockerungen kommen, finden deshalb nicht gleich wieder Jahrmärkte statt. Große Veranstaltungen brauchen einen langen Vorlauf und so lange keine Planungssicherheit herrscht, bewegt sich in diesem Bereich auch wenig.

„Alles steht still und die wenigen Reserven, die wir hatten, sind aufgebraucht. Die braucht man fürs tägliche Leben. Was wir haben, reicht uns kaum zum Leben – geschweige denn dazu, an den Geschäften etwas zu richten oder instand zu setzen. Wir sind am Limit und froh, wenn wir uns jeden Tag etwas zu Essen leisten können“, fasst die 66-Jährige die Misere zusammen. Im Frühjahr sei ein wenig staatliche Hilfe geflossen und auch vom Jobcenter gebe es ein paar Euro – was für die beiden Schausteller mit gemischten Gefühlen verbunden ist. Ihr Stolz leidet darunter, schließlich haben die Schaustellerfamilien bislang immer selbst für sich sorgen können und waren für ihr Auskommen auf niemanden angewiesen. Jetzt, da ihre Einkommensquelle komplett weggebrochen ist, gesteht Scheffel, schäme sie sich ein bisschen – auch wenn es dazu objektiv natürlich keinen Grund gibt. Schließlich sind sie ganz ohne eigenes Verschulden in diese Lage gekommen.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, kommen ihrer Meinung nach einem Arbeitsverbot für die Branche gleich. Für einige von ihnen könnte es das Aus bedeuten. „Wann wir wieder was machen können, steht in den Sternen – und wie sollen wir das in ein bis zwei Jahren wieder reinholen? Das wird sich jahrelang hinziehen. Da spreche ich für alle Schausteller“, betont Scheffel. Sorge mache ihr auch, dass ihr Angebot für viele Familien unter die Kategorie „Vergnügen“ fällt, wofür in Zeiten knapper Kassen weniger Geld zur Verfügung steht und wo am ehesten gespart wird.

Für die beiden Mittsechziger ist die Schaustellerei ihr Beruf und hat ihr Leben geprägt. „Wir sind in den Beruf hineingewachsen. Als Kinder waren wir das ganze Jahr über unterwegs – bis auf die Wintermonate. Mit jedem neuen Platz hat für uns die Schule an einem anderen Ort begonnen. So sind wir aufgewachsen. Das ist unser Beruf, etwas anderes haben wir nicht gelernt“, fasst sie zusammen.

Dennoch will sie sich nicht beklagen, denn auch in anderen Branchen wie der Gastronomie ist die Situation bedrohlich. Und wie viele ebenfalls betroffene Zeitgenossen ist es ihr sehnlichster Wunsch, „sobald wie möglich wieder unserem Geschäft nachgehen zu dürfen! Das wäre uns am liebsten. Langsam wieder mit der Arbeit anfangen zu können, so dass es erst mal zum Überleben reicht und mit der Zeit wieder Fuß fassen“. Sie leiden unter der Ungewissheit. Werden sie, wenn die Krise einmal vorbei ist, wieder an ihren gewohnten Plätzen sein können? Werden sie bis dahin durchhalten? Werden die Leute wieder kommen?

Die Rücklagen sind aufgebraucht, die Rente ist verschwindend gering. Es reicht nur zum Nötigsten. Hin und wieder sind sie gezwungen, sich von Freunden ein wenig Geld zu leihen, um über die Runden zu kommen. Darüber führt Angelika Scheffel akribisch Buch, denn sie will
alles wieder zurückzahlen. „Uns ist Angst vor dem Winter jetzt – und davor, wie
es im Frühjahr weitergeht“, gesteht sie. „Die Veranstalter können nicht planen, die wissen alle selber nicht, wie es weitergeht. Da findet dann wohl vieles nicht statt. Im Moment hängen wir alle in der Luft.“

Zum Artikel

Erstellt:
4. Dezember 2020

Sie müssen angemeldet sein, um einen Leserbeitrag erstellen zu können.