Im Stuhlkreis bei Volksmusik ins Schwitzen kommen

Donnerstagvormittags ist im Kuppinger Stephanus-Stift „Sport vor Ort“ angesagt – eigentlich. Zusammen mit den Senioren des Pflegeheims und des TSV Kuppingen übt dann Alexandra Gudath hier Gymnastik im Sitzen. Ein Angebot, das für die Kursleiterin und -teilnehmer allerdings viel mehr bedeutet, als sich nur ein bisschen zu bewegen. Und auf das sich alle für die Zeit nach den Corona-Einschränkungen wieder freuen.

Von Jenny Schwartz

Lesedauer: ca. 3min 30sec
Der TSV Kuppingen bietet für die Pflegeheim-Bewohner im Stephanus-Stift Gymnastik anGB-Foto (Archiv): gb

Der TSV Kuppingen bietet für die Pflegeheim-Bewohner im Stephanus-Stift Gymnastik anGB-Foto (Archiv): gb

„Anheben – Beugen – Strecken – Ablegen“, ertönen die Rufe von Alexandra Gudath aus dem Festsaal des Kuppinger Stephanus-Stifts. Die Senioren sitzen in einem Stuhlkreis um die 52-Jährige herum und lauschen aufmerksam ihren Anweisungen. In der Mitte des Kreises steht ein Lautsprecher, aus dem fröhliche Volksmusik ertönt. Während der Übungen muss Alexandra Gudath ihre Augen überall haben. Manche der Pflegeheimbewohner brauchen Hilfestellungen, bei anderen klappt es ganz gut. Vor allem aber muss die Übungsleiterin aufpassen, dass niemandem plötzlich schwindlig wird oder dass er keine Kraft mehr hat, denn der Altersdurchschnitt liegt deutlich bei über 80 Jahren.

In Sachen Wahrnehmung ist die Wahl-Kuppingerin inzwischen allerdings bestens geschult. Schließlich ist der „Sport vor Ort“, wie das Gymnastikangebot im Stephanus-Stift heißt, nicht der erste Bewegungskurs für Senioren, den Alexandra Gudath betreut. „Ich leite seit zwölf Jahren die Senioren-Gymnastik beim TSV Kuppingen“, erklärt die hauptberufliche Filialleiterin eines Textilunternehmens. Vor einigen Jahren hätten ihr dort allerdings die ersten Senioren mitteilen müssen, dass sie zu den Übungen körperlich nicht mehr in der Lage seien. „Daraus entstand dann die Idee, eine Kooperation mit dem Stephanus-Stift anzubieten“, erläutert Alexandra Gudath. „Wo Pflegeheimbewohner gemeinsam mit externen Teilnehmern Gymnastik auf Stühlen machen können.“

Seit dieser ersten Idee sind inzwischen über vier Jahre vergangen. Von einigen ihrer ersten „Sport vor Ort“-Teilnehmern musste die frühere Kunstturnerin bereits schweren Herzens Abschied nehmen. „Das sind die traurigen Momente bei dieser Tätigkeit“, gibt Alexandra Gudath zu. „Aber ich weiß, dass der Tod zum Leben dazugehört und freue mich, wenn ich den Menschen durch den Kurs noch ein bisschen Freude schenken kann.“

Und schließlich überwiegen die schönen Momente. Schon während der Übungen merkt man, was für einen guten Draht Alexandra Gudath zu ihren Teilnehmern mittlerweile entwickelt hat. „Wir kennen uns inzwischen so gut, dass man viel zusammen lachen und Spaß haben kann“, sagt Gudath. Das bestätigen auch die Mitglieder des TSV Kuppingen, die die anstrengende Sportstunde gerne noch gemeinsam im Café nebenan ausklingen lassen. „Alexandra macht das als Leiterin sehr gut“, betont Emilie Strohäker. Die Kuppingerin ist seit 1963 Mitglied beim TSV und hatte bereits jahrelang bei Alexandra Gudaths Seniorenturnen im Verein teilgenommen. Aber auch „Sport vor Ort“ zeigt bei Emilie Strohäker seine Wirkung. „Man merkt, dass bestimmte Bewegungen im Alltag schwierig werden, wenn man mal ein paar Wochen nicht in der Gymnastik war“, findet sie. Eine Erkenntnis, die auch ihre langjährige Vereinskameradin Irma Mayer bestätigen kann. „Ich finde es auch unheimlich schön, dass man so unter Leute kommt“, ergänzt sie außerdem. Mit Fritz Maier ist inzwischen sogar ein Ehrenmitglied des TSV regelmäßiger Teilnehmer bei „Sport vor Ort“. Wie lange er bereits in „seinem“ TSV Kuppingen tätig ist, kann der ehemalige Fußballspieler inzwischen selbst nicht mehr sagen. Dafür spricht Fritz Maier aber umso begeisterter von Alexandra Gudaths Gymnastikkurs. „Ich war ganz erstaunt, wie gut einem die Gymnastik tut“, lobt der 87-Jährige. „Und dass die Übungen bei mir auch einigermaßen klappen.“

Bei den Übungen achtet Alexandra Gudath übrigens vor allem darauf, die Beine zu kräftigen. „Das ist ganz arg wichtig“, betont sie. „Denn wer nicht mehr laufen kann, dem fehlt es an einem großen Stück Lebensqualität.“ Und Ziel des Kurses ist es vor allem, den älteren Menschen ihre Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten. Deshalb gehören neben der Mobilisation der Beine auch Koordinationstraining der Hände und Beweglichkeitsübungen der Finger zum Trainingsprogramm. „Wichtig ist vor allem für die Demenzkranken ein strukturierter Ablauf“, erklärt Alexandra Gudath. „Wir beginnen zum Beispiel jedes Mal mit einem Lied und hören jedes Mal mit einem bestimmten Abschiedsgruß auf.“ Dadurch wüssten die Leute, dass der Kurs jetzt entweder losgeht oder beendet ist.

Sowohl für die Heimbewohner, als auch für die externen Kursteilnehmer ist der Seniorensport etwas ganz Besonderes. „Ich habe noch nie so eine schöne Gymnastikstunde erlebt“, schwärmt Pflegeheimbewohnerin Ruth Hinkelmann. „Es tut sehr gut und ist wirklich anstrengend.“ Das sei aber auch gut so, denn sonst würde man ja keine Wirkung erzielen. Und auch Kurt Marquardt hat bei den Übungen seinen Spaß. „Ich war schon immer ein sportlicher Mensch und 65 Jahre lang aktiver Radfahrer“, erzählt der 89-Jährige. Aufs Rad schwingen funktioniert inzwischen zwar nicht mehr, doch das Interesse am Sport hat nicht nachgelassen. „Der Kurs gefällt mir gut“, betont der Oberjesinger. „Und man trainiert mit dem Singen am Anfang sogar auch das Gedächtnis.“ Für Alexandra Gudath ist es genau diese Begeisterung, die ihr immer wieder zeigt, dass „Sport vor Ort“ genau die richtige Idee war. „Von den Menschen kommt so viel Offenheit und Freundlichkeit zurück, das ist der größte Lohn“, strahlt die begeisterte Sportlerin.

Den Seniorensport im Kuppinger Heim haben wir vor der Zuspitzung der Corona-Situation vor einigen Wochen besucht.

AlexandraGudath

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Erstellt:
5. Mai 2020

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