Im neuen Badhaus geht es züchtig zu

Die Baderin Anna Bertsch, die Lehrerin Fräulein Geisser und die Nachbarin von Maria Andreae haben eines gemeinsam: Sie sind Teil der Stadtführung, die am Sonntag von der Frauengeschichtswerkstatt Herrenberg veranstaltet wurde. Diese stand unter dem Motto berühmter Herrenberger Frauen der Zeitgeschichte und spannte einen Bogen vom 15. Jahrhundert bis in die 1960er Jahre.

Von Patricia Beyen

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Sonja Klaus Condo (im historischen Gewand) weiß beim ehemaligen Spital Interessantes zu berichten GB-Foto: Vecsey

Sonja Klaus Condo (im historischen Gewand) weiß beim ehemaligen Spital Interessantes zu berichten GB-Foto: Vecsey

Claudia Nowak-Walz, promovierte Historikerin aus Nufringen, führte die Gruppe von rund 20 Frauen in knapp zwei Stunden durch die Stadt. Ihre Kolleginnen von der Frauenwerkstatt schlüpften dabei an verschiedenen Punkten in die Rolle von bekannten und weniger berühmten Frauen der Stadtgeschichte. Gebucht hatten die Führung die Bücherfrauen Stuttgart, eine bundesweite Vereinigung von 900 Verlagsfrauen, Buchhändlerinnen, Übersetzerinnen und anderen Frauen, die rund ums Buch tätig sind. „Einmal im Jahr im Sommer machen wir mit der Regionalgruppe einen Ausflug oder treffen uns zum Sommerfest“, sagt Regionalsprecherin Ulrike Dörr. In diesem Jahr habe sich Nowak-Walz, ebenfalls Mitglied bei den Bücherfrauen, angeboten, die Führung in Herrenberg zu organisieren und zu leiten.

Fünf Stationen besuchen die Frauen an diesem Tag, an dreien erwarten sie bereits Damen in Kostümen. An der ersten Station begrüßt Fräulein Geisser von der Frauenarbeitsschule die Besucherinnen im Klosterhof von 1946. Sie sei Lehrerin für Weißnähen an der Schule für Mädchen, sagt die Frau in der weißen Bluse, dem züchtigen wadenlangen Rock und dem Hut. Dann erklärt Geisser, die im wahren Leben Heidi Braitmaier heißt, was die jungen Mädchen an der Schule lernten: Nähen, Sticken und Maschinenkurs. „Wegen der Knopflöcher, die die Mädchen von Hand für ihre Bettwäsche für die Aussteuer nähen mussten, ist die Schule im Volksmund auch Knopflochkaserne genannt worden“, sagt Geisser. 1902 sei die Schule gegründet worden, später entstand daraus die heutige Hilde-Domin-Schule.

An der nächsten Station in der Badgasse wartet die Baderin Anna Bertsch auf die Gruppe. Von 1468 bis 1510 hatte sie das neue Badehaus der Stadt gepachtet. Im Gegensatz zum alten Badehaus, sollte es hier züchtig zugehen. „Aber am Sonntag haben wir geschlossen. Da gehen brave Leute in die Kirche“, lässt die Baderin, gespielt von Christel Grüner, die Frauen wissen. Wenn sie aber am nächsten Tag kommen möchten, können sie das gerne tun. Und das nicht nur zum Baden. „Mein Sohn Hans zieht Zähne und kann auch Blutegel ansetzen“, sagt sie. Außerdem konnte man sich beim „Schurr-Ännle“ auch Rasieren lassen und war auch als mobile Krankenpflegerin unterwegs, ergänzt Stadtführerin Nowak-Walz.

Einige Schritte weiter beim ehemaligen Spital erzählt die Nachbarin der Herrenberger Wohltäterin Maria Andreae von ihrer Bekannten und deren Einfluss auf das soziale Leben in der Stadt. „Sie hat auch Eheprobleme gelöst“, sagt Sonja Klaus Condo, alias die Nachbarin.

Elf Frauen beteiligt

Die Idee zu dieser speziellen Frauenführung habe Illja Widmann gehabt, die heute das Sindelfinger Stadtmuseum leitet, sagt Nowak-Walz. Dass sich verschiedene Personen an verschiedenen Orten verkleiden und unterschiedliche Epochen darstellten, das sei schon besonders, sagt Nowak-Walz. Seit 2005 werden die Führungen nun angeboten, in der Regel werden sie von Gruppen gebucht, es gibt aber auch öffentliche Führungen. Rund elf Frauen sind an den Führungen beteiligt und stellen die einzelnen Figuren dar. Nicht alle stehen aber gleichzeitig zur Verfügung. „Ich kann zwar einige der Figuren darstellen, aber die Führung leiten und gleichzeitig eine Figur spielen, das geht nicht“, sagt sie. Weil Ferienzeit ist, herrscht an diesem Sonntag ein kleiner Mangel: An den letzten beiden Stationen stehen keine Schauspielerinnen. Stattdessen erzählt Nowak-Walz am Marktplatz von Luise Schöffel, die 1967 in Herrenberg den „Verband lediger Mütter“ gegründet hat und sich erfolgreich für diese Gruppe, zu der sie selbst gehörte, eingesetzt hat.

Oben an der Stiftskirche angekommen verrät Nowak-Walz, wer die Beginen im 15. Jahrhundert waren und welche Aufgaben diese in Herrenberg wahrgenommen haben. „Auch wenn sie wie Nonnen aussahen und sich viel um die Älteren und Kranken gekümmert haben, waren sie keine Schwestern im eigentlichen Sinne“, erklärt Nowak-Walz. „Sie konnte ihr bürgerliches Leben jederzeit wiederaufnehmen.“

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Erstellt:
21. August 2018

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