„In Kuppingen ist man wieder stolz“
Fußball: Der scheidende Spielertrainer Ralf Richter über die extrem erfolgreiche Saison des Bezirksliga-Aufsteigers, den er im nächsten Jahr am liebsten als Zuschauer von außen unterstützen würde.
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Und der Himmel färbte sich „Kuppingen-blau“: Den Coup mit dem Aufstieg über die Relegation mit einem Sieg über den SV Nufringen kann das TSV-Team mit einem vierten Abschlussrang in der ersten Bezirksliga-Saison noch toppen. Dazu braucht es allerdings am Sonntag einen Sieg über den SV Rohrau. GB-Foto (Archiv): Drofitsch/Eibner
Der TSV Kuppingen ist ohne Frage die Mannschaft der Saison in der Bezirksliga. Als Aufsteiger als einer der Abstiegskandidaten gehandelt, hielt sich das Team ständig im oberen Drittel der Tabelle auf und lief nie Gefahr, in den Abstiegsstrudel zu geraten. Entscheidenden Anteil daran hat Kuppingens Spielertrainer Ralf Richter (GB-Foto: gb), der nach Ende der Saison seinen Posten an Nachfolger Besnik Gllogjani übergibt. „Wie die vier Jahre als Spielertrainer in Kuppingen nun letztlich liefen, ist natürlich märchenhaft. Ein besseres Drehbuch hätte ich mir nicht vorstellen können“, sagt Richter im Interview.
Warum geben Sie nach Ende
der Saison den Trainerposten ab?
Ralf Richter: „Natürlich ist mir die Entscheidung alles andere als leicht gefallen. Zumal die Wertschätzung vonseiten des Vereins und der Mannschaft immer extrem hoch war. Die letzten vier Jahre haben sehr viel Spaß gemacht und wir haben extrem viel bewegt. Sportlich in der letzten Saison mit der Rückkehr in die Bezirksliga nach zehn Jahren Abstinenz und der beeindrucken diesjährigen Runde, aber auch außerhalb des Platzes mit der Initiierung unseres Spendenprojekts für den Förderverein für krebskranke Kinder Tübingen, für das wir inzwischen knapp 10 000 Euro zusammengetragen haben. In Kuppingen ist man wieder stolz auf seinen Fußball, und das völlig zu Recht. Letztlich war für mich aber der Hauptgrund, dass ich den Aufwand, den ich mit meiner Arbeitsweise als Coach 24 Stunden an sieben Tage die Woche betreibe, kommende Saison nicht mehr gehen kann und will. Ich halte die Arbeitsweise für nötig beim TSV, um Erfolg zu haben. Aber das ist über vier Jahre eben auch sehr intensiv, anstrengend und kraftraubend. Außerdem denke ich, dass im Fußball nach vier Jahren neue Impulse immer gut tun hinsichtlich des Systems, der Taktik, der Spielweise oder der Ansprache. Spieler, die etabliert sind, müssen sich neu beweisen. Andere, die weniger als erhofft zum Zug kommen, können es unter einem neuen Trainerteam zeigen. Zudem haben wir viele Ziele, die ich mir vor Antritt gesteckt habe, erreicht und es ist aus meiner Sicht ein Abgang zum passenden Zeitpunkt. Wir sind tabellarisch aktuell die elftbeste von 158 gemeldeten Mannschaften im Bezirk Böblingen/Calw und mit unserer Außendarstellung sogar noch weiter vorne. Insofern war der TSV wahrscheinlich selten attraktiver und ist das ein sehr guter Zeitpunkt, um den Stab weiterzureichen.“
2019 haben Sie das Team übernommen.
Welchen Eindruck hatten Sie
zu Beginn Ihrer Amtszeit?
„Sportlich gab es zu Beginn einige Baustellen und hat es teilweise an Basics gefehlt. Wir haben beispielsweise erst einmal wieder die Regelung einführen müssen, dass sich ein Spieler abmeldet, falls er nicht zum Training kommt. Die Trainingsbeteiligung war schwach, das Verhältnis zwischen Team I und II nicht unbedingt harmonisch und sportlich hatten uns mit dem damaligen Kapitän Patrick Haar sowie den damaligen Torjägern Nick Prokein und Fatih Halil im Sommer 2019 drei wichtige Leistungsträger verlassen. Andererseits war das natürlich auch eine Chance, es bildeten sich neue Hierarchien. Ich habe bereits damals menschlich einwandfreie Charaktere vorgefunden. Vor allem im Jahrgang 1997 bis 1999 hat der TSV eine goldene Generation, die damals noch am Anfang ihrer Entwicklung stand und immer extrem ehrgeizig sowie lernwillig war.“
Wie haben Sie die Saison in der
Bezirksliga erlebt, die im Grunde
durch den Gewinn der Relegation
im vergangenen Jahr gegen den
SV Nufringen auf dem Deckenpfronner Sportplatz ihren Anfang nahm?
„Vor allem hat die Saison unheimlich Spaß gemacht. Die Bezirksliga ist eine extrem attraktive Liga voller spannender Vereine mit schönen Sportanlagen und tollen Rahmenbedingungen. Die Spielzeit war mit 32 Spielen und dem Wissen um die völlig absurd hohe Zahl an Absteigern, extrem fordernd und intensiv. Die Liga hat natürlich eine ganz andere Qualität als die A-Liga. Um etwas zu holen, mussten wir immer an unsere Grenze gehen. Meistens haben wir das geschafft, aber wenn es uns nicht gelang, hatten wir keine Chance. Egal ob gegen ein Spitzenteam oder einen der jetzigen Absteiger.“
Wenn Sie die vergangenen Jahre Revue
passieren lassen: Wie waren die
Entwicklungsschritte der Mannschaft?
„Taktisch haben wir in meiner ersten Saison wahrscheinlich den besten Fußball gespielt: extrem hohes Pressing, intensiv, laufstark, mannschaftlich geschlossen und taktisch sehr diszipliniert. Wir haben uns aber häufig nicht belohnt, da es uns an Kaltschnäuzigkeit, Cleverness, Erfahrung und individueller Qualität gefehlt hat. Einen Sprung haben wir dann sicher nach der längeren Corona-Pause mit Beginn der dritten Saison im Sommer 2021 gemacht. Viele Spieler hatten sich weiterentwickelt, mit Spielern wie Andreas Poser, Dominik Lindner, Gökhan Haybat, Lukas Schnaidt, Nick Prokein oder Oguz Yüksel haben wir sportlich wie auch menschlich tolle Spieler dazubekommen.“
Welche Spieler haben Sie in den
vergangenen Jahren besonders
beeindruckt?
„Mir gelingt es sicher nicht alle zu nennen, aber etliche und aus unterschiedlicher Hinsicht. Marius Kudler habe ich 2019 mit 22 Jahren zum Kapitän ernannt, er hat sich als Persönlichkeit stetig weiterentwickelt. Jakob Schwanke mit seiner Gier, seinem Lernwillen, seiner Kritikfähigkeit und Beharrlichkeit ebenso. Marco Nüßle, den ich außer als Torspieler auf tatsächlich jeder Position mal eingesetzt habe und auf den immer Verlass war. Nico Neuffer, der sich immer wieder zurückgekämpft und in die Mannschaft reingebissen hat. Lukas Schnaidt mit seinem unbändigen Ehrgeiz. Aber auch Spieler wie Valentino Anke, der als Leistungsträger von Team II immer da war, wenn er in Team I gebraucht wurde. Er ist ein absoluter Teamplayer. Aber am allermeisten hat mich mein Co-Trainer Jürgen Strohäker beeindruckt. Wie er für den Verein lebt, die Mannschaft und vor allem auch mich als Trainer unterstützt, ist einzigartig. Er ist ein echtes Vorbild.“
Ihr Team steht derzeit auf Platz vier.
Wie groß ist Ihr Ehrgeiz, die Bezirksliga
als bestes Gäuteam zu beenden?
Dazu wäre im direkten Duell ein Sieg
zu Hause gegen Rohrau nötig.
„Ob wir da jetzt das beste Gäuteam sind oder nicht, ist für mich zweitrangig. Ich erwarte vor allem, dass mein Team alles investiert, sich als Mannschaft präsentiert, den Kuppinger Zuschauern einen tollen Fußballnachmittag bietet und ein anderes Gesicht zeigt als zuletzt gegen Aidlingen. Und natürlich gehen wir wie immer in die Partie, um sie zu gewinnen. Egal wie das Spiel ausgeht, wir haben nach Ende der Saison eine überragende Platzierung erreicht.“
Haben Sie mit einer
letztlich so
unproblematischen Saison gerechnet?
„Wenn man über die Relegation aufsteigt und mit einer mehr oder weniger unveränderten Mannschaft in die Saison geht, zählt man naturgemäß zu den ersten Kandidaten auf den Abstieg. Insofern war im Vorfeld sicher nicht mit einer solchen Saison zu rechnen. Zumal ja bekannt war, dass man durch den verstärkten Abstieg extrem viele Punkte benötigen wird. Im Laufe der Saison haben wir die Sinne der Mannschaft stets darauf und für unser Ziel Klassenerhalt geschärft und uns nie vom Tabellenstand blenden lassen. Dass wir letztlich in einer Saison, in der vielleicht sechs oder sogar sieben Mannschaften absteigen, darunter etablierte Bezirksliga-Schwergewichte, zu keinem Zeitpunkt wirklich etwas mit dem Abstieg zu hatten, ist sensationell. Das ist als Erfolg sicher genauso hoch einzuschätzen wie der letztjährige Aufstieg.“
Ihr Team hat bisher 87 Treffer erzielt,
im Schnitt knapp drei pro Spiel.
Für einen Aufsteiger ist das eine
herausragende Leistung.
69 Tore davon hat das Offensivtrio
Andreas Poser, Nick Prokein und
Oğuz Yüksel erzielt. Waren die drei
die Lebensversicherung?
„Eine solche Aussage würde der Mannschaft und unserer Spielweise nicht gerecht werden. Wir waren immer dann gut, wenn wir eine intensive, kampfstarke, giftige, geschlossene Mannschaftsleistung auf den Platz gebracht haben. Andi, Nick und Oğuz haben diese oft vergoldet, aber das ist auch ihr Job, zumal alle drei sich eher über das Spiel mit als gegen den Ball definieren. Aber klar, alle drei haben eine tolle Torquote und eine sehr gute Runde gespielt.“
In der kommenden Saison wird Besnik
Gllogjani Ihren Posten als Trainer
übernehmen. Wie geht es bei Ihnen
weiter?
„Bereits bei meiner damaligen Entscheidung habe ich den Verantwortlichen mitgeteilt, dass ich dem TSV erhalten bleibe und nicht als Coach oder Spieler zu einem anderen Club wechsle. Ich werde auch kommende Saison regelmäßig trainieren, da ich den sportlichen Ausgleich brauche und das Zusammensein mit der Mannschaft genieße. Wenn Not am Mann ist, stehe ich auch weiterhin als Spieler zur Verfügung. Aber ich möchte mit 35 Jahren nicht mehr unbedingt jeden Sonntag auf dem Platz stehen. Ich wäre glücklich, wenn ich kommende Saison von außen einem funktionierenden, erfolgreichen TSV-Team zuschauen kann.“
Wie eng war die
Zusammenarbeit
mit ihrem Nachfolger in den vergangenen Wochen und
Monaten?
„Besnik und ich kennen uns von einem früheren gemeinsamen Arbeitgeber. Seit klar ist, dass er meine Nachfolge antritt, waren wir immer wieder in Kontakt, war er vereinzelt auch im Training oder bei Spielen vor Ort. Er hat dabei immer ein sehr feines Gespür bewiesen, um den Fokus auf die aktuelle Saison nicht zu stören. Mit ihm gewinnt der TSV einen super Trainer und vor allem einen tollen Menschen, den ich in jeglicher Hinsicht unterstützen werde.“
Haben Sie vor vier Jahren mit einer
solchen Erfolgsgeschichte gerechnet?
„Erfolg ist sicher nicht zu 100 Prozent planbar, aber auch kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit. Ich war immer davon überzeugt, dass er sich einstellt, wenn ich ein klares Konzept für Themen auf als auch neben dem Platz definiere und wir es als Mannschaft und Verein konsequent gemeinschaftlich umsetzen. Das erfordert extrem viel Disziplin, Detailversessenheit und einen langen Atem. Wie die vier Jahre als Spielertrainer in Kuppingen nun letztlich liefen, ist natürlich märchenhaft. Ein besseres Drehbuch hätte ich mir nicht vorstellen können.“

Ralf Richter