Lernort Bauernhof – eine Erfahrung für alle Sinne

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Lernort Bauernhof: Mötzinger Grundschüler begleiten Landwirtin Heidi Haag (vorn) in den Kuhstall GB-Foto: Holom

Lernort Bauernhof: Mötzinger Grundschüler begleiten Landwirtin Heidi Haag (vorn) in den Kuhstall GB-Foto: Holom

Auf den ersten Blick ist der Hof der Familie Haag im Jettinger Imental ein idyllischer Ort. Doch an diesem Morgen um kurz nach neun ist es mit der Ruhe und Beschaulichkeit erst einmal vorbei: Im Rahmen des Landesprojektes „Lernort Bauernhof“ kommt die Klasse 2 der Grundschule Mötzingen zu Besuch, um direkt vor Ort etwas über ein wichtiges Grundnahrungsmittel zu erfahren: Milch.

Die 25 lebhaften und aufgeweckten Schüler sind zu Fuß durch den Wald von Mötzingen gelaufen und voller Wissensdurst und Tatendrang. Während Wilhelm Haag mit dem Traktor Strohballen bringt und unter einem ausladenden Nussbaum im Kreis auslegt, stellt Heidi Haag deshalb zuerst einmal die Hofregeln vor: „Ich bin heute die Hauptperson, ihr lauft mir nach. Und dabei bleiben die Füße immer auf den Boden, es wird nirgends hochgeklettert“, erklärt sie bestimmt. Nach einem kurzen Picknick auf den Strohballen geht es in den Stall, in dem eine besondere Überraschung auf die Kinder wartet. Erst am Vorabend hat eine Kuh gekalbt und ihr Nachwuchs ruft ein kollektives „Ooohhh“ aus 25 Mündern hervor. Mutter und Kalb nehmen es gelassen.

Gutturales Muhen

Heidi Haag hebt zwei Körbe in die Höhe, einer ist mit Heu gefüllt, einer mit Stroh. Wozu braucht man das? „Das fressen die Kühe“, sagt ein Mädchen. „Damit sie weich liegen“, ergänzt ein anderes. Offensichtlich sind die Schüler gut informiert. Klassenlehrerin Cäcilie Kittel hat das Thema Bauernhof im Unterricht mit ihnen vorbereitet. Dennoch ist es für einige von ihnen das erste Mal, dass sie einen Kuhstall betreten.

Für die Schüler ist das eine Erfahrung für alle Sinne, angefangen beim typischen, warmen Stallgeruch, der nicht jedermanns Sache ist, den vielen visuellen Eindrücken, die eifrig kommentiert werden bis hin zu den spannenden Geräuschen der Tiere: Im Stall raschelt es, Metall klirrt, wenn die Kühe ihre Köpfe neugierig zwischen den Stangen hindurchstecken. Vor allem das gutturale Muhen fasziniert die Klasse, einige Jungs versuchen gleich, den satten Sound zu imitieren.

Heidi Haag gelingt es indes immer wieder, das Interesse der Kinder in die richtigen Bahnen zu lenken. Mal weist sie auf das drei Wochen alte Kälbchen in der Babybox hin, das gestreichelt werden darf („Das ist ganz weich“ lautet der entzückte Kommentar eines mutigen Mädchens) mal zeigt sie auf die etwas größeren Kälbchen im „Kindergarten“, die sich eine größere Parzelle im Stall teilen und statt Milch schon richtiges Futter bekommen. Vorbei geht es an den älteren Tieren und den Milchkühen bis zum anderen Ende des Stalls, wo die Kühe stehen, die bald abkalben werden.

Alles wird kindgerecht erklärt, dann dürfen die Schüler Heu an die Kühe verfüttern, eine Aufgabe, an die sich alle mit Begeisterung machen. „Nicht rennen, nicht so laut sein, damit die Tiere nicht erschrecken, dann lassen sie sich vielleicht auch streicheln“, ruft Lehrerin Cäcilia Kittel ihnen zu. Die Mutigen halten den Tieren Heubüschel direkt vor die Nasen, ängstlichere werfen sie in Reichweite der Mäuler und langen Zungen auf den Boden oder lassen sie im letzten Moment fallen, wenn ein großer Kuhkopf sich allzu nah auf sie zu bewegt oder die Zunge sich in Fingernähe um das Heu windet. Eine ganze Weile geht das so, bis das Heu verfüttert ist. Dann zeigt Heidi Haag der Klasse im Melkstand und im daran anschließenden Kühlraum, wie es mit der Milch weitergeht. Zweimal am Tag werden die Kühe hier gemolken, die Milch fließt durch Rohre in einen großen Tank, in dem sie auf drei Grad Celsius gekühlt wird.

Warum gibt’s im Stall so viele Fliegen?

Die Kinder dürfen Fragen stellen. Haben eure Kühe Namen? Warum gibt es hier so viele Fliegen? Wie oft wird die Milch von der Molkerei abgeholt? „Bei uns bekommen die Kühe Namen, wenn sie ihr erstes Kalb bekommen“, erzählt Heidi Haag und erklärt, dass der Anfangsbuchstabe der Mutterkuh sich immer auch auf die Tochter vererbt. „Wenn die Mutter Paula heißt, welchen Namen könnte dann die Kuh bekommen?“ – „Pia“, „Pauline“, „Papagei“ lauten die Vorschläge der Klasse. Um die Fliegen, die vom Milchgeruch angelockt werden, im Zaum zu halten, seien die Schwalben, die im Kuhstall wohnen, das beste Mittel, erklärt Heidi Haag diese althergebrachte Tradition.

Später, im Freiluftklassenzimmer auf den Strohballen, gibt es weitere Fragen: Wozu dienen die Nasenringe? Warum haben manche Kühe Hörner und manche nicht? Warum haben alle Tiere eine Nummer am Ohr? Wie alt werden Kühe? Wie viel Kilo wiegt so eine Kuh? Die vielen Fragen zeugen davon, dass das Interesse der Schüler geweckt ist. Nachdem all diese Themen geklärt sind, gibt es eine weitere praktische Aufgabe für die Schüler: Sie dürfen sich im Melken versuchen – allerdings nicht an den Kühen, sondern anhand von wassergefüllten Einmalhandschuhen, in deren Fingerteile kleine Nadellöcher gestochen werden. Ein Heidenspaß, bei dem sich erstaunlicherweise die Jungs schneller die richtige Technik aneignen – wohl wegen des Anreizes, die Mitschüler ein wenig nass zu spritzen. Schließlich dürfen alle, die wollen, die Milch auch probieren und in kleinen Twist-off-Gläsern aus Sahne durch heftiges Schütteln Butter machen. Voller neuer Eindrücke geht es zurück nach Mötzingen – mit einem Handschuh im Gepäck, damit man den Eltern zu Hause zeigen kann, wie das mit dem Melken funktioniert.

Cäcilia Kittel ist sehr zufrieden mit ihrer Klasse und der Exkursion. „Sie waren alle aktiv mit dabei und haben das, worüber wir im Unterricht gesprochen hatten, mit Händen greifen und selber machen dürfen. Da nehmen sie viel mit, das war ein echtes Erlebnis!“, lautet ihr Urteil.

Auch Heidi Haag ist zufrieden. Für sie war es eine Premiere. Zum ersten Mal hat sie ganz „offiziell“ im Rahmen von „Lernort Bauernhof“ eine Schulklasse zu Besuch gehabt. „Als unsere Kinder im Kindergarten und in der Schule waren, hatten wir auch immer wieder Kinder hier und haben ihnen einen Einblick ins Geschehen auf dem Hof vermittelt“, erzählt sie. „Damals gab es aber keine Aktivitäten, wie es das pädagogische Konzept von Lernort Bauernhof vorsieht. Die Kinder dürfen hier selber etwas machen, denn dann können sie es auch besser behalten.“

Besucherrekord im Jahr 2017

Der 2004 gegründete Verein „Lernort Bauernhof im Heckengäu e. V.“ hat es sich zum Ziel gesetzt, Kindern und Jugendlichen durch sinnvolle Aktivitäten „Ur-Erfahrungen“ auf dem Bauernhof zu ermöglichen und ihren durch tätiges Entdecken naturwissenschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Zusammenhänge näherzubringen. Eine Rechnung, die nicht nur bei diesem Besuch aufgegangen ist: Wie gut dieses Konzept ankommt, zeigt der Besucherrekord des vergangenen Jahres: Ganze 83 Schulklassen besuchten 2017 einen der teilnehmenden Betriebe.

Derzeit engagieren sich 15 landwirtschaftliche Betriebe im Heckengäu, um die Landwirtschaft für Schüler erlebbar zu machen. Damit tragen sie dazu bei, den – früher selbstverständlichen – Kontakt zwischen der Landwirtschaft und der Bevölkerung wieder herzustellen und das Wissen um natürliche Zusammenhänge sowie Herkunft und Entstehungsbedingungen von Lebensmitteln zu vermitteln. JUTTA KRAUSE

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Erstellt:
25. Juli 2018

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