„Nach der langen Zeit müssen die Kinder laufen“

Lange hat es gedauert, bis die Leichtathleten des SV Nufringen den Trainingsbetrieb nach dem Corona-Lockdown wieder aufgenommen haben. Erst nach den Sommerferien kehrte das Leben auf die Anlagen im Waldstadion zurück. Das war für Trainer und Sportler gleichermaßen eine schwierige Zeit.

Von Robert Stadthagen

Lesedauer: ca. 3min 40sec
Herbert Abt (links) und Andreas Surbeck dürfen wieder mit ihren Athleten trainieren GB-Foto: Holom

Herbert Abt (links) und Andreas Surbeck dürfen wieder mit ihren Athleten trainieren GB-Foto: Holom

„Wie viele Runden müssen wir einlaufen?“ Diese Frage hören der Nufringer Leichtathletik-Abteilungsleiter Andreas Surbeck und Übungsleiter Herbert Abt an diesem frühen Montagabend geschätzte zehnmal. „Drei“, lautet die Antwort. „Cool“, entfährt es einem Mädchen, bei einem jungen Athleten sorgt sie dagegen für ein gequältes Stöhnen. Unter großem Geschnatter und Gemurmel macht sich die große Gruppe auf den Weg. Die meisten jungen Sportler haben ein zufriedenes Lachen auf dem Gesicht. Sie genießen es, wieder die federnde Tartanbahn unter den Schuhen zu spüren. „Nach der langen Zeit müssen die Kinder laufen“, sagt Surbeck mit einem Lächeln.

Rückblende. Anfang März haben die Leichtathleten des SV Nufringen das für Mitte des Monats geplante Kinder-Hallensportfest abgesagt. „Wir haben gesagt, dass wir uns dem Risiko im Ehrenamt nicht aussetzen“, blickt Andreas Surbeck zurück. Alle Aktivitäten wurden ausgesetzt. „Wir haben komplett abgebrochen.“ Plötzlich waren die Leichtathletik-Anlagen im Nufringer Waldstadion verwaist. Dort herrscht normalerweise fast jeden Tag in der Woche Betrieb. In jeder Altersklasse betreut der SVN 25 bis 30 Kinder und Jugendliche.

Weder für die Trainer noch für die jungen Sportler war das einfach zu verkraften. „Da bricht erst einmal was zusammen“, sagt Surbeck ganz offen. „Ich habe jahrelang fünfmal die Woche trainiert“, sagt der 62-Jährige. Das Gefühl kennen viele aus den vergangenen Monaten. Über Jahre etablierte Abläufe sind plötzlich über den Haufen geworfen, Zeit muss mit anderen Beschäftigungen gefüllt werden. „Ich habe geschaut, dass ich mich selbst für etwas begeistere. Ich habe mir an Ostern ein E-Bike gekauft“, erzählt Surbeck. Die vielen Fahrten in der Natur haben ihm geholfen, die sportliche Durststrecke zu überbrücken.

Und die Sportler? „Ich habe meinen ein paar Übungen zugeschickt“, sagt Herbert Abt. „Die Großen haben sich Übungen aus dem Internet geholt“, schiebt Surbeck hinterher. Ersetzen konnte das die Trainingseinheiten mit der Gruppe natürlich nicht. „Mir haben die Freunde gefehlt“, sagt Jule Jonas. „Und es ist auch Leistung verloren gegangen.“ Vor allen Dingen bei den Sprints hat die 13-Jährige aus Rohrau das gemerkt. „Schlimm.“ Mit diesem Wort fasst Niklas Abt die Zeit zusammen, als das Training ausgesetzt war. „Ich bin jemand, der Sport liebt und fast jeden Tag macht“, sagt der 15-jährige Nufringer. Auch ihm hat die Gruppe gefehlt. „Zusammen motiviert man sich viel besser“, findet er. Immerhin haben sich die Sportler in kleinen Gruppen irgendwann wieder gesehen. „Wir waren ab und zu Radfahren und Joggen“, erzählt Jule Jonas.

Apropos kleine Gruppen. Die ersten Lockerungen der Corona-Verordnungen haben den Leichtathleten des SV Nufringen nicht viel geholfen. Mit fünf Personen hätten Surbeck und Co. zunächst trainieren können. Da haben sie im Krisenstab der Abteilung abgewunken. Fünf aus 25? Kein Spiel für den Abteilungsleiter. „Wem hätte ich denn absagen sollen?“, fragt Surbeck. Während er die Zeit Revue passieren lässt, sind seine jungen Athleten mit der Aufwärmgymnastik beschäftigt. Die ganz Jungen werden hier von Sportlern aus den älteren Jahrgängen angeleitet. „Da zeigt sich auch, dass wir eine große Familie sind“, freut sich Herbert Abt. Surbeck kümmert sich nach vielen Jahren in der Arbeit mit älteren Athleten wieder um die Jüngsten. Zurück in die Grundlagenarbeit lautet seine Devise. Mit den Leichtathletik-Anfängern übt er das Lauf- und Sprung-Abc. Das kommt bisweilen ganz lustig daher – und ist schwieriger, als es sich anhört. Auf der Start- und Zielgeraden der 400-Meter-Bahn hat Surbeck kleine Hütchen platziert. „Zum Anfang macht ihr einen Kniehebelauf im Slalom“, ruft er seinen Kindern zu. „Und immer schön Abstand halten.“ Schon gibt es den ersten Auffahrunfall.

Den Hopserlauf mit schwingenden Armen bekommen die meisten auch noch gut hin. Dann wird es etwas schwieriger. Den Hampelmann machend müssen die Athleten die Strecke jetzt bewältigen. „Und die Fußspitzen immer nach oben ziehen“, ruft Surbeck. Der eine oder andere beißt sich an dieser Übung schon die Zähne aus – und rückwärts wird die Sache nicht einfacher. Egal, die Kinder ziehen das engagiert durch. Der Drang nach Bewegung ist groß, der Spaß am Sporttreiben in der Gruppe greifbar.

„Die Kinder sind mit Begeisterung dabei“, freut sich Surbeck. Aber auf seiner Stirn ist auch die eine oder andere Sorgenfalte zu entdecken. Er verfolgt das aktuelle Infektionsgeschehen natürlich auch. Und er weiß, dass die nächste Schwierigkeit ihm und seinen Mitstreitern schon bevorsteht. „Nach den Herbstferien gehen wir in die Halle“, sagt er. Dort gelten dann nach jetzigem Stand noch einmal schärfere Hygiene-Bestimmungen. „Die Kabinen werden wir im Schülerbereich nicht benutzen“, sagt Surbeck.

Und wie schaut es mit Wettkämpfen in der anstehenden Hallensaison aus? Surbecks Antwort klingt fast schon desillusioniert. „Wir schauen von heute auf morgen – nicht danach, was im Januar ist. Wir müssen froh sein, wenn wir wie heute Bewegung anbieten können.“ Herbert Abt nickt und schiebt hinterher: „In Sachen Wettkampf ist das ein verlorenes Jahr. Und ich befürchte, dass es auch in der Halle nicht gleich wieder losgehen wird.“ Kein Thema, mit dem sich die Nufringer Leichtathletik-Kids in diesem Moment befassen. Ihnen tut es an diesem Abend einfach wieder gut, sich in der Gruppe verausgaben zu können.

Zum Artikel

Erstellt:
6. Oktober 2020

Sie müssen angemeldet sein, um einen Leserbeitrag erstellen zu können.