Nur mit Hemden und Hosen in Bundesrepublik

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Ein Steckenpferd von Thomas Luft ist die Astronomie GB-Foto: Bäuerle

Ein Steckenpferd von Thomas Luft ist die Astronomie GB-Foto: Bäuerle

Es waren bewegte Zeiten im Herbst 1989. Das Ehepaar Thomas und Andrea Luft lebte damals mit den beiden Kindern in Thüringen, Thomas Luft unterrichtete an einer Polytechnischen Oberschule. Seine Abneigung gegen das politische System der DDR war gewachsen, der vom Staat verordneten Regularien war er zunehmend überdrüssig geworden. „Als Lehrer im Osten musste man politisch zuverlässig sein, und diese Zuverlässigkeit hat man bei mir mit zunehmendem Dienst vermisst. Das ostdeutsche Schulsystem war stark ideologisch geprägt“, blickt Thomas Luft zurück. Als eine Kollegin bei einer Schulabschlusskonferenz bekundete, dass die DDR-Regierung gegen politische Protestler ähnlich rigide vorgehen solle, wie es die chinesische Regierung gegen Studenten praktiziert hatte, war für Thomas Luft das Maß voll: Die Familie entschloss sich, in die Bundesrepublik auszureisen, und sein privater und beruflicher Lebensweg führte ihn hernach an die Ludwig-Uhland-Schule in Gärtringen, wo der beliebte Konrektor zum Ende dieses Schuljahrs in den Ruhestand wechselt.

In die Bundesrepublik ausreisen – was sich leicht anhört und schreibt, war im Herbst 1989 noch mit vielen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten verbunden. „Die Entscheidung, alles stehen und liegen zu lassen, war nicht leicht. Wir hatten Hemden und Hosen dabei und sonst alles zurückgelassen“, rekapituliert Thomas Luft den Gang der Dinge. Nur einige wichtige Dokumente deponierte das Ehepaar bei Thomas Lufts Eltern. Thomas und Andrea Luft beantragten für sich und ihre damals acht und 16 Jahre alten Kinder ein Visum für Rumänien, hatten sich aber vorher schon dazu entschieden, nicht nach Rumänien zu reisen, sondern über Ungarn und Österreich nach Westdeutschland auszuwandern und dort einen Neuanfang zu wagen – was ein zehn Jahre währendes Einreiseverbot in die DDR nach sich gezogen hätte. Dazu kam es freilich nicht, am
9. November 1989 fiel die Mauer. Ärgert sich Thomas Luft darüber, damals nicht noch einige Wochen zugewartet zu haben? „Nein, denn es war nicht abzusehen gewesen, dass die Mauer so schnell fällt, und man musste damals stündlich damit rechnen, dass es anders verläuft“, erinnert er sich. Denn ob die Revolution in der DDR einen friedlichen Verlauf nimmt, war zunächst unklar; dass sich die Regierung militärischer Gewalt bedient, war nicht auszuschließen gewesen: „1989 bot sich dann endlich die Möglichkeit, die Situation durch eigenes Tun zu verändern.“

Familie Luft landete jedenfalls in diesen bewegten Zeiten in Kuppingen bei Thomas Lufts Onkel Ehrenfried Luft, der schon seit 1956 in der Bundesrepublik wohnte. Das Ehepaar bemühte sich zügig darum, die in der DDR erworbenen Berufsabschlüsse auch im Westen anerkannt zu bekommen. Andrea Luft fand schnell eine Arbeitsstelle im Nufringer Kindergarten Steigstraße, Thomas Luft besuchte ein Seminar in Rottweil und absolvierte ein Referendariat in Oberndorf/Neckar, um auch in der Bundesrepublik als Lehrer für Chemie, Mathematik und Physik arbeiten zu können – er freute sich darauf, in einer „freieren“ Schulgemeinschaft als in der DDR unterrichten zu dürfen. 1992 wurde er an die Gärtringer Uhland-Grund- und Hauptschule berufen.

Die Hauptschule stand damals noch in voller Blüte und war durchgehend zweizügig. „Wir hatten sehr gute Hauptschüler, die ihren Weg weitergegangen sind“, blickt Thomas Luft zurück, der im Jahre 2004 zum Konrektor ernannt wurde. Nach dem Niedergang der Hauptschule folgten die Werkrealschule und die heutige Gemeinschaftsschule als weiterführende Schularten in Gärtringen. Thomas Luft bedauert, dass die Hauptschule immer weniger nachgefragt war, konnte sich aber mit allen drei Schularten anfreunden – auch mit der Gemeinschaftsschule. „Die andere Art zu lernen eröffnet ganz neue Lernformen. Wenn man es gescheit anstellt, kann man den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schüler gerecht werden“, sagt er. Unabhängig von der Schulform komme es darauf an, dass sich die Schüler an der Bildungsstätte wohlfühlen, ergänzt der Pädagoge.

Verändert hat sich im Laufe der Jahrzehnte unter anderem die Technik, mit der die Schüler hantieren. „Als ich früher mit einer Filmrolle in den Unterricht gekommen bin, waren die Kinder begeistert“, schmunzelt Thomas Luft. Im aktuellen multimedialen Smartphone-Zeitalter könnte eine Filmrolle wohl nur nostalgische Gefühle hervorrufen. „Bei Wandertagen zu Beginn meiner Lehrerlaufbahn“, erinnert sich Thomas Luft, „konnten sich die Kinder eine Stunde lang selbst im Freien beschäftigen“ – ohne Smartphone wohlgemerkt. Wehklagen will Thomas Luft aber nicht, weder über Kinder noch über Schule, und den Beruf des Lehrers würde er erneut ergreifen, wenn er nochmals am Beginn seiner beruflichen Laufbahn stünde. „Das Unterrichten ist anders geworden. Darüber kann man jammern, oder man kann überlegen, wie man einen moderneren Zugang zur Schule findet“, lautet seine pragmatische Herangehensweise.

Eines seiner Steckenpferde ist neben der Fotografie auch die Astronomie – eine Wissenschaft, die in der DDR als normales Schulfach verankert war. An der Uhland-Schule leitete Thomas Luft die Astronomie-AG, und auch den Erwachsenen brachte er in VHS-Kursen die Welt der Sterne und Planeten näher. Wissenschaftler rechnen damit, dass die Erde wegen der wärmer werdenden Sonne in einer Milliarde Jahre nicht mehr für menschliches Leben geeignet sein wird. Thomas Luft befürchtet indes, dass die Menschheit dem ihr anvertrauten Planeten schon vorher den Garaus macht: „Wir sind knapp davor, die Erde zu ruinieren. Es tut sehr weh, wie die Menschheit mit der Erde umgeht.“

Thomas Luft ist ein Frühaufsteher und kreuzt meist schon um 6 Uhr an der Schule auf. In den frühen Morgenstunden widmete sich Thomas Luft auch der Gärtringer Volkshochschule, die er von 2005 bis Ende 2018 leitete. Drei Rektoren hat Thomas Luft in seiner Ära an der Uhland-Schule erlebt: Dieter Schäfer, Wolfgang Kirschner und aktuell Christine Hallgarten. „Es war immer ein sehr gutes und verlässliches Miteinander, und ich habe seinen Rat immer geschätzt“, sagt Christine Hallgarten, seit 2010 Rektorin an der Ludwig-Uhland-Schule. Als Konrektor war Thomas Luft unter anderem für Stunden- und Vertretungspläne sowie für Statistiken zuständig. Sein Nachfolger als Konrektor wird Steffen Wörner; der IT-Fachmann unterrichtet Gemeinschaftskunde, Sport und Technik an der Uhland-Schule. KONRAD BUCK

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Erstellt:
20. Juli 2019

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