Thema Strukturreform wird totgeschwiegen

Fußball: Der Württembergische Fußballverband (WFV) führt taktische Manöver gegenüber dem Bezirk Hohenlohe aus. Böblingen/Calw will Vereine in die Meinungsbildung miteinbeziehen

Von Andreas Gauss

Lesedauer: ca. 3min 35sec
WFV-Präsident Matthias Schöck (hier noch beim Verbandstag 2018 mit der ehemaligen Kultusministerin Susanne Eisenmann, rechts) ist das Lachen inzwischen vergangen, wenn das Thema Strukturreform zur Sprache kommt GB-Foto (Archiv): WFV

WFV-Präsident Matthias Schöck (hier noch beim Verbandstag 2018 mit der ehemaligen Kultusministerin Susanne Eisenmann, rechts) ist das Lachen inzwischen vergangen, wenn das Thema Strukturreform zur Sprache kommt GB-Foto (Archiv): WFV

„Seit nun fast sechs Jahren beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, wie Struktur und Organisation verbessert werden können“, schreibt Matthias Schöck (Hildrizhausen) in seinem Bericht des Präsidenten vor dem heute anstehenden Verbandstag des Württembergischen Fußballverbandes (WFV). Dieser wird aufgrund der Corona-Pandemie nicht als Präsenzveranstaltung abgehalten. Vielmehr treffen sich Teile der WFV-Führungsriege um 10 Uhr in der Scharrena in Stuttgart, die annährend 260 Delegierten aus 16 WFV-Bezirken sind zugeschaltet. Für Besucher gibt es einen Livestream. Am erstaunlichsten ist, dass die „intensive Frage“, von der Schöck im Bericht spricht, am heutigen Samstagmorgen vollkommen ausgeklammert wird. Das Thema Strukturreform wird, seit es aus den Bezirken Hohenlohe und Böblingen/Calw heftigen Gegenwind gab (wir berichteten), regelrecht togeschwiegen.

Dabei liegt der Vorschlag der eigens vor drei Jahren eingesetzten Kommission, die sich mit der „WFV-Strukturreform“ respektive dem Ziehen neuer Bezirksgrenzen annehmen sollte, längst auf dem Tisch. Aber es war Matthias Schöck selbst, der zum Erstaunen einiger Bezirksvorsitzenden bei der Beiratssitzung am 9. April – einer Videokonferenz – vorschlug, die Strukturreform auf einen außerordentlichen Verbandstag im ersten Halbjahr 2022 zu verschieben. Den wolle man, so Schöck in seinem Bericht, aufgrund „der Wichtigkeit des Themas in Präsenz“ abhalten. Ginge es freilich nach den WFV-Oberen, dann ist das Thema eigentlich so gut wie abgehakt. Denn in jener April-Sitzung hat der 33-köpfige WFV-Beirat bei zwei Gegenstimmen die Beschlussvorlage der Struktur-Kommission mit großer Mehrheit durchgewunken. Die Crux dabei ist nur, dass dieser Vorschlag eines 1-4-12-Systems die Zerschlagung des Bezirks Böblingen/Calw und des Bezirks Hohenlohe vorsieht.

Der frühere Vorstand des Bezirks Böblingen/Calw um den Bondorfer Richard Armbruster stand dem Vorschlag skeptisch gegenüber, sein Nachfolger Roland Ungericht (Rotfelden) sieht den Fall ähnlich. Er hat die Vereine ermuntert, beim anstehenden gemeinsamen Staffeltag am kommenden Donnerstag, 29. Juli, in Möttlingen über das Thema eine Aussprache zu führen. Neben Armbruster wird auch der bisherige Bezirksspielleiter Helmut Dolderer anwesend sein. Der Wildberger hält die Teilung des Bezirks für „nicht nachvollziehbar“. Die Böblinger Vereine sollen dem Bezirk Stuttgart, die Clubs aus dem Landkreis Calw dem schwindsüchtigen Bezirk Nördlicher Schwarzwald angeschlossen werden. Freilich: Einer Strukturreform überhaupt will sich Ungericht nicht verschließen, aber die nun vom Beirat verabschiedete Variante mit zwölf (statt bisher 16) Bezirken greift Ungericht viel zu kurz. „Aufgrund des Rückgangs der Mannschaftszahlen in der Jugend werden sich in den kommenden Jahren die Mannschaftszahlen im aktiven Bereich weiter reduzieren, was zur Folge hat, dass der neu gebildete Bezirk Nördlicher Schwarzwald/Calw in einigen Jahren die gleiche Problematik hätte, wie der Nördliche Schwarzwald sie momentan alleine hat“, argumentiert der neu gewählte Bezirksvorsitzende in einem Rundschreiben an die über 100 Vereine im Bezirk. Er favorisiert die 1-3-9-Variante, bei der der Bezirk Böblingen/Calw in Gänze mit dem Nördlichen Schwarzwald zu einem weitaus größeren Gebilde verschmolzen wird.

Bis vor kurzem hat sich deshalb Roland Ungericht gefreut, dass der Bezirk Hohenlohe einen Antrag eines seiner Vereine beim Verbandstag unterstützt, der eine „Verschiebung der Entscheidung über die Änderung der Verbandsstruktur auf den ordentlichen Verbandstag 2024“ vorsah. Doch seit den Delegiertenbesprechungen im Vorfeld des heutigen Verbandstages ist klar, dass der Antrag aus dem Bezirk Hohenlohe nicht zur Sprache kommen wird. Die Begründung aus Stuttgart: Da die Strukturreform am heutigen Samstag gar nicht zur Abstimmung stehen würde, könnte der Antrag auf Verschiebung aus inhaltlichen Gründen überhaupt nicht behandelt werden. Der juristisch versierte WFV-Geschäftsführer Frank Thumm schlug stattdessen den Funktionären aus Hohenlohe um den Bezirksvorsitzenden Ralf Bantel vor, dass ihr Antrag dann beim außerordentlichen Verbandstag 2022 als Erstes zur Abstimmung gelangen könnte. Auf „Gäubote“-Anfrage hielt Bantel von solch taktischen Manövern nicht viel: „Die wollen verhindern, dass wir unsere Meinung kundtun.“ Denn bei Aufruf eines jeden Antrages ist es beim Verbandstag den Antragstellern möglich, mündlich noch weitere Ausführungen und Erläuterungen zu geben.

Es dürfte wohl in Zukunft auf einen offenen Schlagabtausch zwischen einigen Bezirksvorsitzenden und der WFV-Führung hinauslaufen. Jedenfalls hat Ralf Bantel seinerseits Rechtsberatung eingeholt, wie „dringlich“ denn eigentlich die Einberufung eines außerordentlichen Verbandstages im nächsten Jahr wegen des Strukturreform-Themas sein kann.

WFV laboriert seit über 20
Jahren an dem Thema herum

Denn streng genommen, laboriert der Verband schon seit über 20 Jahren an einer Gebietsreform herum. Nachdem der erste Versuch des damaligen WFV-Präsidenten Alfred Sengle, mittels ausgeklügelter Hinterzimmer-Diplomatie die Bezirksgrenzen neu zu ziehen, im Jahr 2000 krachend gescheitert war, wurde das Thema 14 Jahre lang nicht mehr angerührt. Als der frisch gewählte Präsident Matthias Schöck 2015 eine Spielklassenstrukturreform anstieß, rumorte es prompt wieder unter den Bezirksvorsitzenden. In einem internen Schreiben im August 2016 ermahnte Schöck alle Beteiligten als „Mannschaft“ in die Zukunft zu blicken. Und er betonte: „Wir waren uns bei einer Beiratssitzung in Wangen einig darin, mit diesem Thema offen umzugehen und keine ’geheime Kommandosache’ daraus zu machen.“ Bisher hat noch kein WFV-Funktionär aus Stuttgart den Verantwortlichen im Bezirk Böblingen/Calw schlüssig erläutern können, warum ausgerechnet ihr gesunder Bezirk auseinandergerissen werden soll.

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Erstellt:
24. Juli 2021

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