Übertragung endet um 10.59 Uhr und 47 Sekunden
Der Sonntagsgottesdienst gehört für viele Menschen fest dazu. Doch nicht jeder schafft es, eine Kirche zu besuchen. Damit trotzdem niemand auf eine Predigt verzichten muss, finden im Deutschlandradio regelmäßig live Gottesdienst-Übertragungen statt, diesmal aus der Herrenberger St.-Josefs- Kirche.
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Ein seltenes Ereignis in St. Josef: Der Gottesdienst wurde live übertragen GB-Foto: Holom
Eigentlich wirkt die Kirche St. Josef wie an einem ganz normalen Sonntagmorgen. Die Gottesdienstbesucher haben auf den Bänken Platz genommen, Liedblätter wurden ausgeteilt, es herrscht andächtige Stimmung. Alles wie gewohnt – wenn man von dem hohen Sendemast absieht, der heute zwischen den Bankreihen hervorragt. „Wir werden in Kürze live in ganz Deutschland zu hören sein“, erklärt Thomas Steiger dem Publikum vorab. Der Stuttgarter ist Hörfunkpfarrer beim SWR und damit verantwortlich für die Gottesdienstübertragungen, die der Deutsche Landesfunk jeden Sonntag und an Feiertagen im Radio ausstrahlt. „Das heißt, dass uns landesweit etwa 300000 Zuhörer heute begleiten werden“, betont Thomas Steiger und sorgt damit für aufgeregtes Flüstern unter den Gottesdienstbesuchern. Grund zur Sorge besteht aber selbstverständlich nicht, denn die katholische Kirchengemeinde und das Produktionsteam haben den Ablauf ganz genau geplant.
Auf ein paar Eigenheiten müssen sich die Kirchgänger heute allerdings einstellen. Zum Beispiel, dass der Gottesdienst nicht wie üblich um Punkt 10 Uhr, sondern um 10.05 Uhr beginnt. „Weil im Radio davor noch das Wetter angesagt wird“, verrät Thomas Steiger. Nach der Wettermeldung würde der Übertragungswagen, der vor der Kirche steht, das Glockenläuten der Josefskirche einspielen. „Das haben wir im Vorfeld aufgenommen“, erklärt Steiger. Auch der Gottesdienst und Chorgesang selbst mussten am Abend vorher nochmals in Echtzeit geprobt werden, damit sich die Beteiligten schon mal an den straffen Zeitplan gewöhnen können. „Denn um Punkt 10.59 Uhr und 47 Sekunden ist die Übertragung zu Ende“, schmunzelt Thomas Steiger selbst über diese exakte Vorgabe. Verzichten müssen die Kirchgänger heute außerdem auf längere Pausen und Stille-Momente. „Die lassen sich einfach nicht gut übertragen“, erläutert der Hörfunkpfarrer. „Sonst denken die Zuhörer, der Pfarrer sei ohnmächtig geworden oder der Funkmast umgefallen.“ Der Gottesdienst würde deshalb mehr „Schlag auf Schlag gehen“, als man es sonst gewohnt sei.
Dafür ist die Live-Übertragung aber auch einem guten Zweck gewidmet. „Wir richten uns damit an die Menschen, die gerne zum Gottesdienst wollen, aber nicht können“, betont Thomas Steiger. Zum Beispiel Menschen, die krank sind oder Kranke pflegen müssen. „Die ganze Idee hat also durchaus einen diakonischen Aspekt.“
Um 10.05 Uhr ist es schließlich so weit: Ein rotes Licht auf dem Predigerpult leuchtet auf und zeigt an, dass sich der Gottesdienst nun auf Sendung befindet. Thomas Steiger begrüßt die Zuhörer deutschlandweit und schildert kurz, in welcher Kirche man sich heute befindet. Dabei beschreibt der kirchliche Übertragungsleiter nicht nur Herrenberg als Stadt, sondern auch die Kirche selbst und hebt besonders die auffallenden Buntglasfenster der Josefskirche hervor, damit die Zuhörer sich die Situation genau vorstellen können. Schließlich übergibt Steiger das Wort an Pfarrer Markus Ziegler, der die Predigt halten wird.
Das Thema des Sonntags behandelt Lesungen aus dem Buch Jesus Sirach sowie dem Matthäus-Evangelium. Beide Erzählungen befassen sich mit den Geboten und Vorschriften Gottes und Jesu und den Schwierigkeiten, sich ganz genau an diese zu halten. In einem Wechselgespräch diskutieren Markus Ziegler und Gemeindereferentin Sabine Riske darüber, ob man die Gebote buchstabengetreu befolgen sollte, und kommen zu dem Schluss, dass Jesus einen mit diesen Verboten zu einem Leben in Liebe motivieren möchte. „Jesus geht es also nicht darum, noch mehr und noch strengere Vorschriften aufzustellen“, lautet Sabine Riskes Resümee des Dialogs. „Er will, dass man die Gebote richtig versteht und sie dann auf sein Leben anwendet.“
Das Thema der Predigt ist nicht vom Deutschlandradio vorgegeben, doch die Ausarbeitung des Programms bedurfte im Vorfeld trotzdem mehr Arbeit, als es sonst der Fall ist. „Markus Ziegler musste den Ablauf zwei Wochen vor dem Gottesdienst an Thomas Steiger schicken“, erzählt Sabine Riske. „Damit man nochmals drüberschauen kann, ob alles passt.“
Ein außergewöhnlicher Aspekt des Gottesdienstprogramms ist an diesem Tag auch die musikalische Untermalung. Die Predigt wird nämlich nicht nur von Orgelklängen, sondern von Trommelrythmen, Oben-Melodien und dem kräftigen Gesang des Kirchenchors unter der Leitung von Marianne Aicher begleitet. Anja Tschammler beeindruckt zwischen den Chor-Partien außerdem immer wieder mit Sopraneinlagen, die noch im Nachgang ein großes Gesprächsthema bei den Kirchenbesuchern sind.
Um Punkt 10.59 Uhr erlischt schließlich das rote Licht auf dem Predigerpult, und die Live-Übertragung findet ihr Ende mit einem letzten schwungvollen Lied des Kirchenchors und einem großen Applaus der Kirchgänger.