Wenn auch das zweite Standbein einbricht

Mit der reizvollen Kombination aus Reisebüro, Café und Sportsbar verdienen Jochen und Simone Weinhardt seit einem starken Jahr ihren Lebensunterhalt. Was in normalen Zeiten eine tolle Idee ist, trifft sie jetzt, in der Corona-Pandemie, besonders hart. Die „Hoffnung in der Krise“, wie die diesjährige „Gäubote“-Weihnachtsaktion überschrieben ist, wollen sie dennoch nicht aufgeben.

Von Jutta Krause

Lesedauer: ca. 3min 19sec
Jochen und Simone Weinhardt im „ratzfatz“ – dem Reisebüro mit SportsbarGB-Foto: Schmidt

Jochen und Simone Weinhardt im „ratzfatz“ – dem Reisebüro mit SportsbarGB-Foto: Schmidt

Seit acht Jahren gibt es das „ratzfatz“ in Herrenberg bereits, und so lange ist Reisefachmann Jochen Weinhardt auch mit von der Partie. Er hat es mit aufgebaut und findet die Idee dahinter toll, weil er den Menschen gern eine Freude macht – etwa mit einem gut organisierten Urlaub oder einem in der Bar übertragenen Fußballspiel, das man mit Freunden genießen kann. Im Sommer letzten Jahres wagten er und seine Frau Simone den Schritt und übernahmen die Bar samt Reisebüro, wo er bis dahin angestellt war. Der Touristikexperte sorgt weiterhin dafür, dass seine Kunden schöne Ferien erleben, Simone Weinhardt, die auch als Ergotherapeutin tätig ist, betreibt zusammen mit einer Angestellten Bar und Café. Mit zwei Eisen im Feuer, so dachten sie, sei man auch dann gut aufgestellt, wenn mal eines schlecht laufen sollte.

Dass gleichzeitig beides wegbrechen könnte, damit haben sie nicht gerechnet. Als im ersten Jahr nach ein paar Monaten die Thomas-Cook-Pleite über die Reisebranche hereinbrach, bewährte sich das Konzept noch, denn die Bar lief gut. Das Jahr 2020 begann vielversprechend, das Reisebüro verbuchte eine gute Nachfrage – bis Corona dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung machte. Buchungen werden oder wurden zurückgenommen, wechselnde Reisewarnungen verunsicherten die Kundschaft zusätzlich.

Kunden hatten die Wahl: Sie konnten ein Reiseguthaben wählen, auf das sie zu einem späteren Zeitpunkt zurückgreifen konnten oder die Reise wurde komplett storniert. Die allermeisten entschieden sich für Letzteres. „In dem Fall muss das Reisebüro die Provision an den Veranstalter zurückzahlen. Für uns heißt das: Umsonst g’schafft!“, erklärt Jochen Weinhardt die Situation aus seiner Sicht, betont indes, er habe volles Verständnis für die Entscheidung seiner Kunden.

Damit nicht genug: Die Bar musste während des Lockdowns im Frühjahr schließen, wobei ein Großteil der laufenden Kosten durch staatliche Überbrückungshilfe abgedeckt wurde. Nach der Lockerung war im Sommer eine leichte Besserung zu spüren. Vor allem die Plätze im Freien wurden gut angenommen, das Hygienekonzept der Sportsbar wurde von vielen Kunden gelobt. Um das „ratzfatz“ auch im Herbst und Winter sicher betreiben zu können, haben die Weinhardts, wie viele andere Gastronomen auch, einiges investiert und beispielsweise Plexiglas-Trennscheiben und eine Heizmöglichkeit für draußen angeschafft. Die – inzwischen bereits verlängerte – Schließung kam trotzdem und eine Besserung der Fallzahlen ist bislang nicht zu erkennen. „Die Gastronomie ist das Bauernopfer, sie hält sich an alle Vorgaben und ist doch wieder als Erstes von Schließungen betroffen“, ärgert sich Jochen Weinhardt. „Reisebüros dürfen zwar öffnen – aber wer will grade eine Reise buchen, wenn die Politik doch ausdrücklich vor Reisen warnt?“

Im Reisebüro lief auch im Sommer recht wenig. Viele Menschen verzichteten auf Fernreisen, buchten ihren Inlandsurlaub selbst oder blieben zu Hause. „Man ist als Unternehmer nicht abgesichert, nur die laufenden Kosten werden abgedeckt. Die meisten Arbeitnehmer bekommen Kurzarbeitergeld, aber für uns gibt es diese Sicherheit nicht.“ Die für den November versprochene rasche Hilfe lief zudem beunruhigend langsam an – erst gegen Monatsende konnte man Anträge stellen. Doch was den Weinhardts am meisten Kopfzerbrechen bereitet, ist die ungewisse Zukunft. Wird es auch für den Dezember Hilfe geben? Wie wird diese berechnet, wie sieht es aus mit dem Januar und ab wann ist Besserung in Sicht? Werden die Gäste wiederkommen? Bei so viel Unsicherheit stellt sich auch die Sinnfrage mit einiger Dringlichkeit. „Freunde und Kollegen sagen: Durchhalten! Sobald die Corona-Krise vorbei ist, rennen dir die Leute die Bude ein, dann will jeder in Urlaub fahren. Aber ich glaube eher, dass 2021 für die Touristik ein extrem schweres Jahr wird“, fasst Weinhardt seine Gedanken zusammen. „Wir sind hin- und hergerissen und hoffen, nächstes Jahr wieder ein bisschen zur Normalität zurückkehren zu können“, fügt Simone Weinhardt hinzu. „Noch ein Pandemie-Jahr mit entsprechenden Einschränkungen können wir nicht verkraften.“

Bevor sie sich für das „ratzfatz“ in Schulden stürzen, wollen die Weinhardts lieber die Reißleine ziehen. Im Augenblick lebt die vierköpfige Familie von dem Gehalt, das Simone Weinhardt mit ihrer Teilzeitstelle als Ergotherapeutin verdient und einem kleinen Zuschuss vom Jobcenter. „Bis jetzt kriegen wir es gut hin, obwohl man sich schon einige Dinge nicht mehr leistet, über die andere gar nicht nachdenken. Aber es gibt genügend andere Menschen, die noch weniger haben und auf Unterstützung angewiesen sind“, sagt Simone Weinhardt. „Ich bin sehr froh darüber, dass ich in meinem Beruf weitergemacht habe, das ist jetzt Gold wert.“

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Erstellt:
12. Dezember 2020

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