„Wir wollen den Vereinen Hilfestellung geben“

Vor rund zwei Wochen sind Spieler und Zuschauer des B-Ligisten KF Isa Boletini Sindelfingen nach Abpfiff des Spiels beim FSV Deufringen gegenüber dem Schiedsrichter handgreiflich geworden und haben ihn gejagt. Das Urteil des Sportgerichts des Bezirks Böblingen/Calw steht noch aus.

Von Andreas Gauß

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Motto auf Ordnerweste soll deeskalierend wirken, laut Verbandsschiedsrichter-Vertreter Dr. Jochen Härdtlein würde auch ein Anti-Aggressionstraining weiterhelfen GB-Fotos: gb

Motto auf Ordnerweste soll deeskalierend wirken, laut Verbandsschiedsrichter-Vertreter Dr. Jochen Härdtlein würde auch ein Anti-Aggressionstraining weiterhelfen GB-Fotos: gb

Bis zum 1. November hatten die beiden betroffenen Vereine FSV Deufringen und Isa Boletini Sindelfingen Zeit für ihre Stellungnahmen. In einer großen Kammersitzung wollte das Bezirkssportgericht eigentlich schon am heutigen Dienstagabend zusammensitzen, aber wegen Terminüberschneidungen wurde die Sitzung kurzfristig abgesagt. Reinhold Lange, Vorsitzender des Sportgerichts, meinte auf „Gäubote“-Anfrage: „Wir hoffen, dass wir bis Ende der Woche eine Sitzung hinbekommen werden.“ Aufgrund der Schwere des Vorfalls in Deufringen, fünf Streifenwagenbesetzungen der Polizeireviere Sindelfingen und Böblingen rückten am Sonntag vor zwei Wochen an und nahmen im Nachhinein einige Zeugenaussagen auf, wird das Urteil mit Spannung erwartet.

Erschwerend aus Sicht der Sindelfinger Mannschaft, der Verein hat den albanischen Freiheitskämpfer Isa Boletini in seinem Namen, kommt hinzu, dass Anhänger des Clubs zwei Wochen zuvor bei einem Auswärtsspiel gegenüber dem Schiedsrichter ausfällig wurden. Neben Beleidigungen wie „Arschloch“ und „Hurensohn“ wurde dem Unparteiischen Deniz-Osman Tekin von der Schiedsrichtergruppe Tübingen ein Finger in die Bauchgegend gebohrt. Das Urteil des Bezirkssportgerichts fiel eindeutig aus: Wegen sportwidrigen Betragens wurde eine Geldstrafe samt Verfahrenskosten von 330 Euro gegen den Sindelfinger Club ausgesprochen. Nicht zuletzt, weil auch die Stellungnahme von Isa Boletini Sindelfingen dürftig ausfiel. Im Urteil lautete eine der ersten Sätze in der Stellungnahme des Clubs: „Der Schiedsrichter hat nach unserer Auffassung hier einen sehr schlechten Job gemacht.“

Inwieweit sich die Vereinsverantwortlichen in ihrer Stellungnahme zum Verhalten des Schiedsrichters Darko Milakovic beim Spiel in Deufringen äußerten, ist noch nicht bekannt. Spielleiter Albert Marki wollte sich auf Anfrage nicht zum Sachverhalt äußern. Der Referee von der Schiedsrichtergruppe Stuttgart hat wie berichtet einen detaillierten vierteiligen Sonderbericht zu den Vorgängen zwischen ihm und den Spielern sowie Zuschauern von Isa Boletini angefertigt. Angeblich hat er zumindest einen der Spieler, die ihm nach Abpfiff des Spiels tätlich angegriffen haben, klar identifizieren können. Milakovic ist an diesem besagten Sonntag später noch in die Notaufnahme eines Krankenhauses in Stuttgart gegangen, hat sich ein Attest geben lassen, ist aber laut B-4-Staffelleiter Hans-Jürgen Mayer (Simmozheim) am Montagmorgen dennoch wieder ins Geschäft gegangen. Als die Spannungen zwischen dem aus Serbien stammenden Unparteiischen und den Spielern zunahmen – kurz vor Spielende sahen die Isa-Boletini-Spieler Endrit Qerimi und Elbhaslan Krasniqi die Gelb-Rote Karte, jeweils wegen Meckerns – hat der FSV Deufringen vorsichtshalber die Zahl der Ordner auf sechs erhöht. Die waren nach Ansicht von FSV-Ausschussmitglied Fabian Rinderknecht vonnöten. Er selbst und seine beiden Funktionärskollegen Nico Bühler und Harald Gammerdinger hatten jeweils einen Notruf bei der Polizei abgesetzt. Als ein Isa-Boletini-Anhänger eine Eckfahne in die Hand nahm, sei, so die Schilderung von Rinderknecht, ein Sindelfinger Spieler auf ihn zugegangen und hätte ihn aufgefordert, die Eckfahne beiseitezulegen. Gleichwohl fand die Szene Eingang in die Pressemitteilung der Polizei: „Auch eine Eckfahne soll zum Einsatz gekommen sein.“

Es lag nahe, dass der Bezirk Böblingen/
Calw in Person von Staffelleiter Hans-Jürgen Mayer am Sonntag darauf eine Platzaufsicht beim nächsten Spiel von Isa Boletini vornahm. Bei der Heimpartie gegen den FV Mönchberg wurde der erfahrene Unparteiische Ralf Lalka, Lehrwart der SR-Gruppe Nürtingen, eingeteilt. Dieser brach früh das Eis, als er den einzigen von Isa Boletini gemeldeten Schiedsrichter Shukri Bunjaku als ehemaligen Kollegen der Schiedsrichtergruppe Böblingen vor dem Spiel herzlich begrüßte. Staffelleiter Mayer hatte zudem Mönchberg aufgefordert, zwei vereinseigene Ordner zum Spiel zu stellen und sie auch mit Ordner-Westen auszustatten. Die Partie gegen Möchberg endete 1:1 unentschieden, es gab im Übrigen das gesamte Spiel über keinen einzigen Ruf gegen den Schiedsrichter. Auch bei der Partie am vergangenen Sonntag bei der Spvgg. Aidlingen, die Isa Boletini Sindelfingen mit 1:5 verlor, verlief alles ruhig.

Dennoch hat Dr. Jochen Härdtlein aus Kornwestheim, Mitglied des Verbandsschiedsrichterausschusses im Württembergischen Fußballverband (WFV), anhand des Streiks der Berliner Schiedsrichter und des Faustschlags gegen einen Schiedsrichter durch einen Spieler des hessischen Kreisligisten TSV Münster eine derzeit gefährliche Gemengelage ausgemacht: „Jeder Fall trifft uns natürlich. Und schadet uns, wenn es um die Neugewinnung und den Erhalt von jungen Schiedsrichtern geht.“ Neulingen werden zudem Beratungsgespräche angeboten, wenn es Bedarf gibt, um besser deeskalierend auf ein Spiel einwirken zu können.

Was den „Fall Isa Boletini“ angeht, sieht Jochen Härdtlein die Schwierigkeit, dass auch auf die Anhänger eingegangen werden muss. „Von Verbandsseite wollen wir den Vereinen schon eine Hilfestellung bieten.“ Beispielsweise wäre ein Anti-Aggressionstraining für Spieler und Verantwortliche möglich. Wenn ein Verein mehrere Male hintereinander auffällig werde, dann, so Härdtlein, „gibt es vielleicht auch ein strukturelles Problem in diesem Verein.“ Derzeit sei der Verbandsschiedsrichter-Ausschuss dabei, einen Katalog mit Verhaltensmaßnahmen zu erarbeiten, wie sich Unparteiische „nach innen und nach außen verhalten sollen“. Den letzten Härtefall im Bereich des Verbandsgebiets hatte der WFV im Spieljahr 2013/14, als der Stuttgarter B-Ligist HNK Slaven Möhringen kurz vor Saisonende vom Spielbetrieb ausgeschlossen wurde. Fünf Spieler von Möhringen, einem Verein mit kroatischen Wurzen, hatten damals bei einem Spiel den Schiedsrichter getreten und geschlagen.

„Wir wollen den Vereinen Hilfestellung geben“

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Erstellt:
5. November 2019

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