Der Protestgegen dieGebührenerhöhung und Betreuungs-reduzierung zeigte sich zuletzt auch am Herrenberger Ortsausgangauf einem Plakat.GB-Foto: Schmidt
Die Stadtverwaltung Herrenberg hat dem Gemeinderat vorgeschlagen, bei 16 Kitaeinrichtungen mit verlängerten Öffnungszeiten die Betreuung von sieben auf sechs Stunden zu reduzieren – dadurch erhofft sie sich einen stabileren Betrieb. Wenig überraschend löste sie damit bei den Eltern keine Jubelstürme aus, zumal parallel dazu auch eine Erhöhung der Kita-Gebühren anvisiert wird. Vor dem Jahreswechsel formierte sich bereits eine Elternwerkstatt mit 60 Personen (der „Gäubote“ berichtete). Die steht nun auch hinter einer Online-Petition, die von der Stadt eine Rücknahme der angestrebten Kürzung und stattdessen zukunftsweisende Konzepte fordert. Am Mittwoch gestartet und erst am Donnerstag wirklich kommuniziert, nahm die Petition schnell Dynamik auf: Am Freitagabend waren die erhofften 610 Unterschriften bereits vorhanden – über das Wochenende wuchs sich die Unterstützung Stand Sonntagabend auf fast 770 Unterschriften aus.
„Wahnsinn: Innerhalb von 48 Stunden haben wir unser Ziel erreicht und sogar überschritten“, ist Rijan Kovacs, Sprecher der Elternwerkstatt, baff angesichts des Zuspruchs. Hinter der Elternwerkstatt selbst stehen auch nicht mehr nur 60 Personen: „Wir vertreten inzwischen über 400 Eltern“, sagt Kovacs. Ebenso nach eigenen Angaben auch Gemeinderäte und ehemalige Kitaleitungen der Stadt. Die WhatsApp-Gruppe der Elternwerkstatt sei die vergangenen Tage von rund 16 Personen auf derer 60 angewachsen – so viele, dass das Organisationsteam nun eine zweite Gruppe für sich in dem sozialen Netzwerk gestartet hat. „Die Not bei den Eltern ist enorm groß“, verdeutlicht Kovacs. „Das haben wir jetzt aufs Tableau gehoben.“ Die Herrenberger Familien hätten die letzte Zeit bereits viel geleistet und enorme Belastungen getragen, man habe der Stadt den kleinen Finger gereicht und soll nun den ganzen Arm verlieren. Die geplanten Kürzungen der Öffnungszeiten seien zu viel und nicht tragbar. Die Petition soll Stadtverwaltung und Gemeinderat zeigen, dass es einen Rückhalt für das Anliegen der Eltern in der Bevölkerung gibt.
„Das Thema wird sehr stiefmütterlich behandelt“, findet einer der 310 Kommentare bezüglich des Vorgehens der Stadt Herrenberg. „Es kann nicht sein, dass die Gebühren steigen und die Leistung nicht erbracht wird“, lautet ein anderer. Viele Stimmen sprechen auch die Problematik an, die sich ihnen als Eltern und Arbeitnehmer stellt, wenn sie eine Stunde Betreuungszeit verlieren. „Das betrifft die ganze Bevölkerung“, unterstreicht auch Rijan Kovacs. Denn Eltern seien nicht nur Eltern, sondern Ärzte, Handwerker und Co. – erwartet diese Einschränkungen in ihrer Arbeitszeitgestaltung und damit womöglich im schlimmsten Fall eine Kündigung, habe dies auch Konsequenzen für andere Bürger – die kinderlosen inklusive –, die deren Dienstleistungen beanspruchen.
Die Elternwerkstatt ist sich des Fachkräftemangels bewusst, der die Stadt mit dazu zwingt, die Betreuungszeiten kürzen zu müssen. Sie schlägt aber stattdessen alternative Lösungen vor, hält diese dank des Paragrafen 11 des Kindertagesbetreuungsgesetzes für möglich, da dieser es gestatte, fachfremdes Personal einzustellen. Denn Kitas, skizziert Kovacs, hätten zwei Zeiträume: die Bildungs- und Randzeit. Letztere umfasse die Übergänge und Pausen zwischen der pädagogischen Bildung – hier sollen die Fachfremden zum Einsatz kommen, sie würden also keine pädagogischen Bildungsaufgaben übernehmen, die Erzieher könnten sich dafür auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren. Die Mitglieder der Elternwerkstatt hätten in Erfahrung gebracht, dass bei anderen Kitas auf anfängliche Skepsis ein Durchatmen folgte, als sie diesen Weg gegangen seien. Gleichzeitig habe sich aber wohl nur die Elternwerkstatt nach Erfahrungen anderer Kommunen umgehört, nicht aber die Stadtverwaltung selbst. Auch hätten alle Personen mit politischem Einfluss, mit denen die Elternwerkstatt bisher im Austausch stand, angegeben, sich mit Paragraf 11 nicht auszukennen. Die Elternwerkstatt macht in der Verwaltung somit einen „Mangel an Expertise und Motivation“ aus. „Wir versuchen, alles auf die Beine zu stellen, dass alle Gemeinderäte informiert sind, was sie im Begriff sind, auszulösen“, sagt Rijan Kovacs. Inzwischen habe man auch einen Flyer aufgelegt. „Wir haben ziemlich Zeitdruck“, erklärt Kovacs. Denn nur bis zum Sonntag bestand die Möglichkeit, Einwände gegen die vorgesehene Erhöhung der Kitagebühren einzureichen. „Das“, ergänzte Kovacs am Freitagnachmittag, „haben wir gestern erst erfahren.“
An der Bildung dürfe nicht gespart werden, heißt es oft – darunter auch im Herrenberger Gemeinderat. In der öffentlichen Diskussion wird teils auf die Ausgaben für den Fruchtkasten verwiesen, Gegenverweise führen an, dass dessen Gesamtkosten den Jahresausgaben im Kita-Bereich entsprächen. Für Rijan Kovacs gilt es, „Themen, die nichts miteinander zu tun haben, nicht gegeneinander auszuspielen“. Auch sieht sich die Elternwerkstatt nicht als Protestpartei, will bei der kommenden Gemeinderatssitzung keine Demo veranstalten, aber die Eltern zur Teilnahme aufrufen, um mit Präsenz Vehemenz zu zeigen.
Bei der Sitzung des Kita-Gesamtelternbeirats (GEB) am Donnerstagabend sei deutlich geworden, dass dieser die geplante Öffnungszeitenkürzung entschieden ablehne. Auch vom GEB wünscht sich die Elternwerkstatt, dass er hervorhebe, wie er zu dem Ergebnis der Arbeitsgruppe stünde, die den Vorschlag für die Kürzung der Betreuungszeit bei den VÖ-Kitas erarbeitet hat (siehe separater Artikel links). „Unser Ziel ist es, allen die Hände zu reichen“, sagt Kovacs. Die Eltern wollen von Betroffenen zu Beteiligten werden. „Wir wünschen uns, die Kürzung erst mal auf Eis zu legen und konstruktive Gespräche zu führen“, formuliert Rijan Kovacs. Die Elternwerkstatt versteht sich als „Impulsgeber, der Expertise mitbringt“ – und diese biete man der Herrenberger Stadtverwaltung gerne an.
Die Online-Petition strebte die – schon erreichten – 610 Unterschriften bis 16.