Wenn das Geld nicht mehr zum Leben reicht

„Gäubote“-Weihnachtsaktion: „Not lindern!“ ist das erklärte Ziel von „Miteinander – Füreinander“ angesichts der Folgen von Krieg, Energiekrise und Pandemie auf Menschen mit schmalem Geldbeutel.

Von Jutta Krause

Lesedauer: ca. 3min 25sec
Düsterer Ausblick: Für viele Menschen ist die aktuelle Weihnachtszeit mit Not und Einschränkungen verbunden. GB-Foto: Schmidt

Düsterer Ausblick: Für viele Menschen ist die aktuelle Weihnachtszeit mit Not und Einschränkungen verbunden. GB-Foto: Schmidt

Die kaum überstandene Pandemie, der anhaltende Krieg in der Ukraine und der damit verbundene Zustrom von Geflüchteten, eine zweistellige Inflationsrate und stark gestiegene Energie- und Lebensmittelkosten machen vielen Menschen das Leben schwer. Vor allem Haushalte mit geringem Einkommen oder Familien, bei denen die Finanzen ohnehin „auf Kante genäht“ sind, kommen in dieser Situation zunehmend in Bedrängnis, weil das Geld kaum mehr zum Leben reicht. Hier setzt die diesjährige „Gäubote“-Weihnachtsaktion in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis „Miteinander – Füreinander“ an: „Not lindern!“ ist das Ziel der Spendenkampagne in den nächsten Wochen. Heute fällt dazu der Startschuss.

„Durch Corona und den Krieg in der Ukraine sind viele Familien schwer belastet und wissen nicht mehr, wie sie über die Runden kommen und angesichts der massiv gestiegenen Energiepreise und Lebenshaltungskosten den Winter durchstehen sollen“, sagt Pfarrerin Friederike Schmalfuß, die Sprecherin des Arbeitskreises „Miteinander–Füreinander“. „Hier wollen wir eingreifen und konkrete Not abwenden.“

Während die Not wächst und die Situation in manchen Haushalten bedrohlich ernst wird, scheinen die sozialen Auffangsysteme bereits jetzt bis an die Grenzen ihrer Tragfähigkeit strapaziert zu sein: Die Tafeln berichten schon seit einiger Zeit, dass weniger Lebensmittelspenden bei ihnen ankommen, während die Nachfrage stetig zunimmt. „Die Spenden haben deutlich abgenommen, die Zahl der Bedürftigen hat um 100 Prozent zugenommen. Die Situation hat sich im Lauf des Jahres immer mehr zugespitzt“, berichtet Andrea Bach vom Herrenberger Tafelladen. „Ich muss teilweise die Waren kontingentieren – beispielsweise gibt es je Einkäufer nur noch einen Karton mit Eiern, auch Milch ist rationiert.“

Auch die Sozialberatungen sehen eine starke Zunahme an Menschen, die in Not geraten. Vor allem in der Schuldnerberatung ist seit einiger Zeit „Land unter“. „Um es klar zu sagen: Die Situation ist katastrophal! Wir müssen permanent Leute abweisen, weil wir keine weiteren Klienten aufnehmen können“, klagt Schuldnerberaterin Birgit Knaus im Haus der Diakonie. „Die Nachfrage hat massiv zugenommen. Dabei geht es oft nicht mehr um reine Schuldenregulierung, die Existenzsicherung nimmt immer mehr Raum ein.“ Vielen Menschen, die sich hilfesuchend an sie wenden, stehe das Wasser buchstäblich bis zum Hals, doch sei sie längst an der Obergrenze ihrer Kapazität angelangt. Dabei, ist Knaus überzeugt, sei man erst am Anfang einer vermutlich gewaltigen Welle.

Auch in allen anderen Bereichen der Sozialberatung schlägt sich die Situation nieder. „In allen Fachbereichen liegt das Thema Finanzen obenauf. Die Klienten sagen: Es fehlt überall, es geht nicht mehr. Dabei geht es oft nicht mehr um eine konkrete Sache, die kaputt ist oder eine akute Situation, sondern der Lebensunterhalt ist insgesamt zu teuer geworden und das Geld reicht nicht mehr für das Nötigste. Der Alltag wird unbezahlbar“, berichtet Carolin Schlanderer, die das Haus der Diakonie leitet. Der Anspruch, Menschen in dringlichen Situationen schnell einen Beratungstermin anzubieten, könne angesichts der vielen Anfragen nicht mehr erfüllt werden. „Es ist wirklich existenziell, vor allem für Menschen, die vorher kaum durchkamen, ist es aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise und dem Wegfall des 9-Euro-Tickets noch mal schwerer geworden. Bei uns kommen schon die ersten Fälle an, die bislang ohne Leistungen zurechtkamen und nun wegen der gestiegenen Heizkosten ins Arbeitslosengeld II abrutschen. Und es gibt einige, die durchs Raster fallen, weil sie zu viel Geld haben, um Unterstützung zu bekommen, aber nicht mehr genug, um wie bisher klarzukommen.“

Beim Jobcenter ist davon (noch) nicht viel spürbar. Zwar, berichtet Wolfgang Maute, Bereichsleiter Markt und Integration beim Jobcenter des Landkreises Böblingen, sei die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, also der Haushalte mit mindestens einem erwerbsfähigen Mitglied, im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent gestiegen und habe im September 2022 bei insgesamt 7042 Bedarfsgemeinschaften gelegen, die Arbeitslosengeld II erhielten. Das ließe sich indes in erster Linie auf die beim Jobcenter gemeldeten Geflüchteten aus der Ukraine zurückführen, die mit 1233 rund ein Sechstel davon ausmachen. Maute sagt aber auch: „Die Menschen, die im Leistungsbezug verbleiben, sind indes besonders stark von den Preissteigerungen betroffen. Wir bemerken zudem ein sukzessive ansteigendes Anfragevolumen von Menschen, die wegen der stark gestiegenen Heizkosten an uns herantreten.“ Im Landratsamt Böblingen rechnet man mit einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen. Aufgrund der höheren Nebenkostenabschläge werde in vielen Fällen ein Sozialhilfeanspruch entstehen. Beim Wohngeld rechnet man mit einer Verdreifachung der Empfängerhaushalte von jetzt 1400 auf rund 4200. Auch die Sozialen Dienste in Herrenberg verbuchen vermehrte Anfragen.

Mit der Aktion „Not lindern!“ will der Arbeitskreis „Miteinander – Füreinander“ deshalb in diesem Jahr erneut die Einzelfallhilfe stärken. Denn mit diesem schnellen und unkomplizierten Mittel können akute Notsituationen durch gezielte einmalige Hilfen abgefedert werden – und das erscheint derzeit besonders nötig.

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Erstellt:
30. November 2022

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